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Flüchtlinge: Weiterbilden und integrieren

Hunderttausende sind im Jahr 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Kein Mensch verlässt seine Heimat ohne Grund. Kein Mensch lässt leichtfertig oder gar gerne Eltern, Kinder, Partner/innen, Freunde in Krieg oder Not zurück und begibt sich auf eine lebensgefährliche Reise. Kein Mensch kommt gerne mit Nichts in der Fremde an. Jede und jeder Einzelne von denen, die aufbrechen, weiß: Die Zukunft ist ungewiss. Die Menschen kommen, weil sie Schutz vor Gewalt und Not suchen.

Aktuell heizt sich die Debatte um den Flüchtlingszuzug auf, der Ton der Diskussionen verroht zusehends. Wir nehmen die Sorgen von Beschäftigten und Erwerbslosen ernst, die unter anderem von einer Verschärfung der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt getrieben sind. Es braucht arbeitsmarktpolitische Initiativen und den politischen Willen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für alle zu verbessern.

Ein wesentlicher Schlüssel zur gesellschaftlichen Integration der Flüchtlinge ist sozialversicherungspflichtige bezahlte Arbeit. Ohne hoch qualifizierte Weiterbildung ist dies nicht möglich. Dabei sind drei zentrale Handlungsfelder zu unterscheiden. Dazu zählen der Erwerb von Deutschkenntnissen, der Zugang und die Nutzung arbeitsmarktpolitischer Fördermöglichkeiten und die Integration in den Arbeitsmarkt sowie spezielle Angebote für besondere Flüchtlingsgruppen.
  • Ohne Deutschkenntnisse ist weder eine soziale noch eine berufliche Integration von Flüchtlingen möglich. Darum ist die wichtigste Aufgabe zunächst der Spracherwerb. Dafür müssen flächendeckend für alle Flüchtlinge unabhängig vom rechtlichen Status Angebote geschaffen und erweitert werden.

  • Die berufliche Qualifikation der Flüchtlinge ist sehr unterschiedlich. Repräsentative Daten zur beruflichen Qualifikation liegen nicht vor. Belastbare Aussagen zur Qualifikationsstruktur können nicht gemacht werden. Wir brauchen spezifische Verfahren zur Feststellung der Kompetenz und Qualifikation. Flüchtlinge brauchen Beratungsangebote. Untersuchungen weisen darauf hin, dass den Flüchtlingen der Zugang und die Nutzung der arbeitsmarktpolitischen Fördermöglichkeiten gegeben werden muss. Die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen sind zu überarbeiten und zu ändern.

  • Besondere Flüchtlingsgruppen (beispielsweise Frauen, Jugendliche, unbegleitete minderjährige Asylsuchende, traumatisierte und kriegsversehrte Flüchtlinge) haben einen besonderen Förderungsbedarf. Diese Gruppen stellen besondere Herausforderungen an die Integration und sind spezifisch zu fördern. Angesicht des geringen Durchschnittsalters der Flüchtlinge – 55 Prozent sind unter 25 Jahre – besteht ein erhebliches Potenzial, das durch Investitionen in Bildung und Ausbildung qualifiziert werden muss. Die Förderbedarfe sind festzustellen, Maßnahmen zu entwickeln und falls erforderlich gesetzliche Grundlagen zu überarbeiten und zu ändern.

Überwiegend verfügen die Flüchtlinge über keine oder geringe Deutschkenntnisse. Der Abbau von Sprachbarrieren ist Voraussetzung für alle Formen und Stufen der Integrationsarbeit. Bislang hatten nur Flüchtlinge, deren Asylantrag positiv beschieden wurde oder Migranten mit Aufenthaltserlaubnissen zu anderen Zwecken Zugang zu Integrationskursen. Für die Integrationskurse Deutschunterricht und Orientierungskurse ist das BAMF zuständig. Auch wenn der Bund zusätzlich die Integrationskurse für die Asylbewerber sowie Geduldete mit guter Bleibeperspektive geöffnet hat, reicht dies nicht aus.

Jeder dritte Flüchtling ist jünger als 18 Jahre. Zum Teil auch unbegleitet. Minderjährige Flüchtlinge unterliegen der Schulpflicht. In der Schule erhalten sie eine Sprachförderung und haben die Möglichkeit einen Schulabschluss nachzuholen. Rund 25 Prozent der Flüchtlinge sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Sie können die Berufsberatung der Agenturen für Arbeit in Anspruch nehmen. Nicht mehr schulpflichtige Aufenthaltsgestattete (Asylbewerber/innen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen wurde) und Geduldete dieser Altersgruppe ohne Schulabschluss haben in der Regel keine Möglichkeit, diesen an einer Regelschule zu erwerben.

Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung sollen auf Flüchtlinge als Zielgruppe ausgeweitet werden, so betriebliche und überbetriebliche Umschulungen, Vorbereitung auf externe Prüfungen (§ 45 BBiG) und Aufstiegsqualifizierungen auch zum Erlangen der Hochschulreife sollen über die Agentur für Arbeit/Jobcenter gefördert werden. Anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte ohne Schulabschluss sollen auf einen Hauptschulabschluss im Rahmen einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) vorbereitet werden. Die jungen Flüchtlinge sollen an einer Einstiegsqualifizierung (EQ), eine Berufseinstiegsbegleitung (BerEb) und einer Berufsorientierungsmaßnahme (BOM) teilnehmen. Für junge Flüchtlinge sind spezifische Maßnahmen zu entwickeln. Anknüpfungspunkt könnte § 45 III SGB sein.

Zugang zu weiteren Maßnahmen der Ausbildungsförderung im Rahmen des SGB III haben Gestattete nach der geltenden Rechtslage nicht. Die Fördermöglichkeiten sind zu erweitern. Die Flüchtlinge sollten zu den Maßnahmen abH, AsA und BvB einen erleichterten Zugang erhalten. Die Gesetze sind entsprechend zu überarbeiten und zu ändern.

Weibliche Flüchtlinge bedürfen in vielen Fällen einer besonderen Unterstützung, u. a. weil sie häufiger als Männer keine berufliche Qualifikation mitbringen Dafür sind gesonderte Maßnahmen zu entwickeln. Die Kinderbetreuung ist mit zu berücksichtigen.

Problematisch ist, dass die geforderte Qualifikation der Deutschlehrer/innen heruntergesetzt wurde, die Gruppengrößen sind auf 25 Teilnehmende gestiegen und die Bezahlung liegt bei weniger als einem Drittel eines Grundschullehrers/in. Die berufsbezogene Sprachförderung läuft Ende 2017 aus. Es soll ein modularisiertes Programm zur beruflichen Integration und entsprechenden Weiterentwicklung der Sprachkompetenz entwickelt werden, um Sprachförderung und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu verzahnen.

Die hohe Nachfrage nach qualifiziertem pädagogischem Personal führt auch zu einer höheren Bezahlung, die in den einzelnen Haushaltsansätzen der öffentlichen Auftraggeber zwingend berücksichtigt werden muss. Dabei ist die personelle Kontinuität in den einzelnen Maßnahmen sicher zu stellen.

Ehrenamtliche Helfer/innen können nicht dauerhaft professionelle Arbeit ersetzen. Sie können Hilfestellungen im Alltag leisten und damit sowohl den Spracherwerb als auch die Integration unterstützen. Deshalb benötigt auch das Ehrenamt Anerkennung und Unterstützung.

Die Qualifizierung der Flüchtlinge muss auf einem hohen Niveau erfolgen. Aus diesem Grund müssen die Träger sowohl im Bereich des Spracherwerbs als auch der Arbeitsförderung auch in Zukunft zertifiziert sein. Im Sinne einer hohen Professionalität sind dabei die Träger zu verpflichten, Qualifizierungsmodule und – anteile für das gesamte eingesetzte pädagogische Personal anzubieten sowie Vor- und Nachbereitungszeiten zu gewähren und ebenfalls zu vergüten. Das gilt sowohl für Berufseinsteiger/innen als auch für bereits vorhandenes Personal. Qualifizierungsmodule müssen Supervision und kollegiale Beratung enthalten und interkulturelle Kompetenzen vermitteln. Nur so wird sichergestellt, dass Berufseinsteiger dauerhaft und nachhaltig qualifiziert werden und das vorhandene Personal mit den hohen Belastungen umgehen kann.

Damit die soziale und gesellschaftliche Integration tausender geflüchteter Menschen gelingt, benötigt die arbeitsmarktbezogene und gesellschaftspolitische Weiterbildung zusätzliche Brückenbauer/innen. Diese Unterstützung können Personen übernehmen, die die Kulturen der Herkunftsländer kennen und sowohl über Sprachkompetenz als auch über grundlegende Kenntnisse der politischen und gesellschaftlichen Lage in den Herkunftsländer verfügt. Durch deren kulturspezifische Kompetenz werden viele Reaktionen, Aktivitäten und Handlungsweisen von Flüchtlingen im täglichen Leben erklärbarer. Sie können das eingesetzte pädagogische Personal unterstützen. Diese Personen verfügen häufig nicht über die formalen Qualifikationen, die für das pädagogische Personal in der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu Recht gefordert werden. Für den Einsatz von ausländischen Mitbürgern, die glaubhaft machen können, dass sie über Fähigkeiten und Erfahrungen verfügen, die eine erfolgreiche Arbeit in der Weiterbildung erwarten lassen müssen zeitnah Rahmenregelungen geschaffen werden.


ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung – Verantwortlich: Ute Kittel – Bearbeitung: Hans-Jürgen Sattler – Februar 2016 – www.biwifo.verdi.de/


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Ausbildung, Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.02.2016

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024