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Niedersächsische Staatskanzlei untergräbt Gute Arbeit und Tarifbindung

Unternehmen, die Lohndumping betreiben, werden per Erlass bevorteilt

Hintergrundinformationen zum niedersächsischen Erlass zur Pauschalierung der Lohnkosten bei europäischen Förderprojekten

Hintergrund der Problematik ist ein neuer Erlass der Landesregierung zur Regelung der Standardeinheitskosten bei der EU-Förderung. Dieser Erlass ist bereits im Ministerialblatt veröffentlicht und damit in Kraft. Im zuständigen Begleitaus-schuss wurde der Erlass allerdings erst am vergangenen Donnerstag (9.7.2015) vorgestellt. Eine Beteiligung von Verbänden und Organisationen fand also nicht statt, sondern diese wurden im Ausschuss vor vollendete Tatsachen gestellt.


Kern des Problems:

Der Erlass regelt die Finanzierung der Lohnkosten in mit europäischen Mittel geförderten Projekten des Landes Niedersachsen. Durch die neue Regelung wird in den Förderprojekten eine Bezahlung unter Tarifniveau belohnt und eine tarifliche Bezahlung erschwert.

Kurz: Die Landesregierung fördert durch diese Regelung Tarifflucht und Lohndumping.


Erläuterung:

Bisher
wurden Lohnkosten in europäischen Förderprojekten in Niedersachsen „spitz abgerechnet“. Das bedeutet: Bisher bekam jeder Träger eines Förderprojekts exakt die Lohnkosten rückerstattet, die der Träger an seine Beschäftigten auszahlt (abgesehen von der notwendigen Kofinanzierung). Lohnkosten waren quasi „durchlaufende Posten“ – Wenn ein Träger seine Beschäftigten untertariflich bezahlt hat, bekam er entsprechend weniger Geld aus der Förderung. Wenn der Träger die höheren Tariflöhne bezahlt hat, bekam er entsprechend mehr Geld. Die Träger konnten sich also bei den Lohnkosten nicht bereichern. Es gab keinen direkten Anreiz, unter Tarif zu bezahlen.

Aktuell schafft die Landesregierung diese „Spitzabrechnung“ zugunsten einer Pauschale ab. Es soll nun nicht mehr jeder Träger das erhalten, was er seinen Beschäftigten tatsächlich bezahlt – sondern es wird eine Pauschale angesetzt. Jeder Träger bekommt also pauschal gleich viel Geld. Dabei ist unerheblich, wie er seine Beschäftigten bezahlt. Die Pauschale errechnet sich aus Durchschnittswerten. Es wurde der Durchschnitt gebildet zwischen der niedrigen untertariflichen Entlohnung und der höheren tariflichen Entlohnung.

Die Folge: Die Träger, die nach Tarif bezahlen, werden künftig Probleme bekommen, ihre Lohnkosten in europäisch geförderten Projekten des Landes Niedersachsen zu refinanzieren. Oder anders gesagt: Sie laufen Gefahr bei diesen Projekten „draufzuzahlen“, was kein Träger auf Dauer machen kann und selbstverständlich die Arbeitsplätze und den Träger selbst bedroht. Gleichzeitig werden die Träger, die unter dem Tarif bezahlen, belohnt. Die Pauschale liegt über ihren tatsächlichen Lohnkosten. Sie machen durch ihr Lohndumping Gewinn.

Ergo: Durch die neue Regelung der Landesregierung werden die Träger belohnt, die unter Tarif bezahlen, und die Träger bestraft, die nach Tarif bezahlen. Die Landesregierung gibt einen direkten Anreiz zur Tarifflucht und zum Lohndumping.


Ein praktisches Rechenbeispiel:

In der Trägerlandschaft gibt es bereits heute enorme Lohnunterschiede: In Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitslosen haben wir in Niedersachsen Projektträger, die ihren Beschäftigten 2000 Euro brutto monatlich zahlen, gegenüber Trägern mit Tarifbindung, die für die gleichen Tätigkeitsbereiche 3200 Euro und mehr zahlen.

Nach der neuen Regelung der Landesregierung können für Projektleitungen (TVL EG 13) pauschal 51.000 Euro im Jahr abgerechnet werden. Nach Tarif liegen die tatsächlichen Kosten bei der Beschäftigtengruppe EG 13 Stufe 3 (also nur 3 Jahre Berufserfahrung) bei rund 60.000 Euro, ein erfahrener Projektleiter in der Stufe 5 kostet rund 75.000 Euro im Jahr.

Träger, die tariflich bezahlen, können hier also wirtschaftlich nicht mehr mithalten und werden solche Projekte nur noch schwer übernehmen können. Die, die nicht nach Tarif bezahlen, machen allerdings in Zukunft Gewinn aus Fördermitteln.


Die Dimension des Problems

Es geht um die komplette Förderung des Landes Niedersachsens aus Mitteln der Europäischen Union. Insgesamt reden wir von ca. 1 Milliarde Euro (EFRE- und ESF-Mittel der neuen Förderperiode), die auf diese Weise verteilt werden. Es ist also eine sehr große Trägerlandschaft mit tausenden Arbeitsplätzen betroffen.

Gleichzeitig ist der DGB der Auffassung, dass diese Form der Pauschalierung EU-rechtlich rechtswidrig ist, da sie die Möglichkeit offen lässt, Gewinn aus der Förderung abzuschöpfen.

Konkret: Es geht darum, wie zum Beispiel Menschen in Jugendwerkstätten bezahlt werden. Oder beispielsweise um die Entlohnung von Menschen, die arbeitslose Jugendliche in Ausbildung vermitteln. Wir reden also von den Arbeitsbedingungen von Menschen, die Arbeit machen, die für unsere Gesellschaft elementar wichtig ist.


Der aktuelle Stand

Die Landesregierung ist über das Problem in seiner vollen Dimension informiert. Zuständig ist die Staatskanzlei mit der Staatsekretärin Birgit HonĂ©.

Bisher hat die Landesregierung versucht durch die neuen Richtlinien zu den europäischen Fördermitteln Gute Arbeit und tarifliche Entlohnung zu fördern. Diese Linie wirft die Staatskanzlei mit diesem neuen Erlass komplett über den Haufen. Der DGB fordert eine Rückkehr zur Spitzabrechnung der Personalkosten in europäisch geförderten Projekten. Ein kurzfristig organisierter Austausch der Spitzen auf Fachebene hierzu war ergebnislos. Das bisherige Verfahren, die Kosten „spitz abzurechnen“ wird abgelehnt. Begründung: Die Pauschalen sparen Verwaltungskosten.


Quelle: Mitteilung des DGB Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt vom 13. Juli 2015


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 27.07.2015

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024