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Themendienst didacta 2014: Drei Fragen an … Prof. Dr. Josef Schrader

Gerade Geringqualifizierte benötigen individuelle Weiterbildungsangebote

Wie steht es um die Weiterbildung in Deutschland? Was wird überhaupt angeboten und wer profitiert davon? Wir haben einen ausgewiesenen Experten gefragt, den Wissenschaftlichen Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, Prof. Dr. Josef Schrader. Er lehrt an der Universität Tübingen. Zu den Forschungsschwerpunkten des Erziehungswissenschaftlers gehört die Professionalisierung der Weiterbildung.

Herr Professor Schrader, Weiterbildung liegt im Trend. Das belegt zuletzt die von Ihrem Institut herausgegebene Studie "Weiterbildungsverhalten in Deutschland". Ganz konkret: Wer nutzt Weiterbildungsangebote?

Josef Schrader: Im Jahr 2012 beteiligten sich, nimmt man die Daten des Adult Education Survey, in Deutschland hochgerechnet 25,1 Mio. Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren an Weiterbildung. Dies entspricht einer Teilnahmequote von 49 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe. Weiterbildungsteilnahme ist definiert als Teilnahme an mindestens einem Kurs, Seminar, einer kurzzeitigen Bildungsveranstaltung, einer Schulung am Arbeitsplatz oder einem Privatunterricht in der Freizeit in den letzten 12 Monaten vor der Befragung. Wie der Bericht zeigt, ist ein Großteil der Lernaktivitäten der betrieblichen Weiterbildung zuzurechnen. Zur betrieblichen Weiterbildung werden Veranstaltungen gezählt, die überwiegend in der Arbeitszeit stattfanden oder bei denen der Arbeitgeber anteilig oder vollständig die Kosten übernahm. Nach dieser Definition waren 69 Prozent aller non-formalen Lernaktivitäten betriebliche Weiterbildungen. Betrachtet man die Teilnahmequote auf Personenebene, so nahmen 35 Prozent aller 18-64-Jährigen im Jahr 2012 an betrieblicher Weiterbildung in diesem Sinne teil.

Klar ist auch: Geringqualifizierte nehmen seltener an Weiterbildungen teil, das heißt, die Bildungsschere wächst noch während der beruflichen Biografie. Fehlt es an Angeboten oder am Interesse?

Josef Schrader: Die Forschung hat verschiedene Faktoren identifiziert, die Weiterbildungsbenachteiligung fördern beziehungsweise hemmen. Zu den förderlichen Faktoren für betriebliche Weiterbildung gehören hohe Qualifikationsanforderungen der beruflichen Tätigkeit, eine Tätigkeit in einer wissensintensiven Branche, eine hohe berufliche Stellung oder eine Zunahme der Vielfalt der Arbeitsaufgaben. Auf Geringqualifizierte treffen diese Merkmale seltener zu, sodass schon hieraus eine geringere Weiterbildungsbeteiligung gegeben ist. Gleichzeitig wirkt sich ein geringer oder kein Schul- bzw. Berufsabschluss per se auch eigenständig noch in Richtung einer geringeren Weiterbildungsbeteiligung aus. Hier sind verschiedene Barrieren wirksam. Wobei bei Geringqualifizierten am ehesten negative Lernerfahrungen in der früheren Biografie, fehlende Nutzenerwartung, hohe Kosten, eine geringe Unterstützung des Arbeitgebers, ein fehlender Überblick über Weiterbildungsmöglichkeiten, ein hoher Beratungsbedarf sowie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Weiterbildung mit anderen Lebensbereichen zum Tragen kommen. Auch das Angebot ist ausbaufähig. Es hat sich gezeigt, dass Geringqualifizierte positiv auf spezielle Strategien der Ansprache reagieren sowie auf Angebote, die in Zusammenarbeit mit Betrieben durchgeführt werden.

Sollte man nicht da ansetzen und mehr Weiterbildung für Geringqualifizierte anbieten? Schließlich werden gut aus- oder weitergebildete Fachkräfte händeringend gesucht.

Josef Schrader: Es muss nicht nur mehr Weiterbildung, sondern die richtige Weiterbildung sein. Idealerweise eine solche, die individuell auf die konkrete Arbeitssituation und persönlichen Hintergrund der Personen eingeht, die Barrieren aktiv vermeidet - z. B. durch Kostenübernahme, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie - und vom Betrieb unterstützt wird. Vor allem bei Arbeitslosigkeit hat es sich als günstig erwiesen, wenn Weiterbildung auch zu einer formalen Qualifikation führt, also zum Beispiel einen höherwertigen beruflichen Abschluss bringt. Inzwischen gibt es viele Bildungsgänge, in denen auch informell erworbene Kompetenzen anerkannt werden können. Es bleibt allerdings gerade bei Geringqualifizierten notwendig, diese gezielt und individuell zu beraten und auch im Kurs selbst auf ihre speziellen Bedürfnisse einzugehen. Hier sind dann die Lehrenden gefragt.


Quelle: bildungsklick.de 5. März 2014


Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Berufliche Weiterbildung, Lebenslanges Lernen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 11.03.2014

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024