Nachrichten-ArchivZurück zur ÜbersichtDGB Positionspapier zum Fach Wirtschaft an allgemeinbildenden Schulen Wirtschaft in der Schule – Was sollen unsere Kinder lernen?Schule soll auf das Leben vorbereiten – darin sind sich alle einig. Doch gerade beim Thema Wirtschaft zeigt sich, wie unterschiedlich – je nach politischem Standpunkt – Inhalte und Botschaften formuliert und bewertet werden. Müssen Beschäftigte ihre eigenen Interessen den Unternehmenszielen ihres Arbeitgebers unterordnen? Sind Gewerkschaften, Betriebsräte und Jugendvertretungen wichtige Institutionen für einen fairen Interessenausgleich im Betrieb? Ist das Betriebsverfassungsgesetz notwendige Basis für Mitbestimmung im Betrieb oder Hindernis für erfolgreiches Wirtschaften? Sind Lebenschancen und Wohlstand gerecht verteilt? Das sind Fragen, die je nach politischem Interesse unterschiedlich beantwortet werden können. Deshalb ist es wichtig, ökonomische Fragestellungen immer im politischen und sozialen Kontext zu betrachten. Das muss ein guter Unterricht an allgemeinbildenden Schulen leisten.Forderungen nach einem Fach Wirtschaft sind nicht zeitgemäß Seit geraumer Zeit wollen eine Reihe von Wissenschaftlern, Unternehmen, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden ein eigenständiges Unterrichtsfach Wirtschaft in den allgemeinbildenden Schulen etablieren. Aus Sicht der Gewerkschaften ist die damit verbundene Vorstellung davon, wie die wirtschaftliche Kompetenz von Schülerinnen und Schülern zu stärken sei, einseitig und unzureichend, da etwa politische und soziale Zusammenhänge nicht oder nicht ausreichend einbezogen werden. Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften sehen diese Herangehensweise skeptisch und plädieren stattdessen für eine umfassende sozioökonomische Bildung. DGB und BDA forderten 2000 in einem gemeinsamen Memorandum die Einführung des Faches Wirtschaft im Pflichtbereich aller Schulen der Sekundarstufe I und eine angemessene Weiterführung in der Sekundarstufe II. Ziel dieser Forderung war es, Schülerinnen und Schülern aller Schularten die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und Konflikte zu vermitteln und sie zu befähigen, ihre Interessen formulieren und solidarisch vertreten zu können. Das Memorandum verfolgte somit einen weitgefassten, sozialwissenschaftlich orientierten Begriff ökonomischer Bildung. Seit diesem Vorstoß von DGB und BDA hat sich im Bereich der ökonomischen Bildung in allgemeinbildenden Schulen viel getan: In vielen Bundesländern wurde sie in den Lehrplänen (curricular) gestärkt. Zugleich verlangten in den vergangenen Jahren Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände sowie wirtschaftsnahe Institute immer vehementer nach einem Unterrichtsfach Wirtschaft und haben hierzu umfassende Bildungsstandards für den Unterricht und die Lehrerausbildung vorgelegt. Dabei unterscheiden sich ihre inhaltlichen Forderungen deutlich von denen der Gewerkschaften. Das geforderte Schulfach wird in der Regel auf eine sehr eng geführte wirtschaftswissenschaftliche Sichtweise (Stichwort: Homo oeconomicus) und die Leitvorstellung von Markteffizienz verkürzt. Ein solches Konzept hat nichts mehr mit dem ganzheitlichen und mehrdimensionalen Unterricht zu tun, wie er in der Vorstellung einer sozioökonomischen Bildung formuliert ist: Schülerinnen und Schüler sollen lernen, eigene Vorstellungen von einem guten Leben und ihren Anforderungen an die Wirtschaftswelt zu entwickeln. Sie müssen mit den wichtigen Problemen der Gesellschaft, der Umwelt und der Wirtschaft konfrontiert werden und unterschiedliche Lösungsstrategien und Handlungsmöglichkeiten kennenlernen. Schülerinnen und Schüler sollten in der ökonomischen Bildung beispielsweise etwas über die Zunahme prekärer Beschäftigung, die in Deutschland auch im internationalen Vergleich starke Abhängigkeit von sozialer Herkunft und beruflichem Erfolg, die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung oder die Besetzung fast aller Leitungspositionen durch Männer erfahren. Schülerinnen und Schüler sollten die Schule als verantwortungsbewusste Verbraucher/innen und nicht als „scheinaufgeklärte“ Kundinnen/Kunden verlassen. Sie sollten die verschiedenen Facetten des Wirtschaftslebens verstanden haben und für sich bewerten können. Dazu gehört beispielsweise, die Effizienzgewinne einer Marktwirtschaft ebenso zu sehen, wie die ökologischen und sozialen Verwerfungen die entstehen können, wenn Märkte ohne politische Regeln bleiben. Gleiches gilt für Innovationen in Unternehmen, die ein Fluch oder auch ein Segen für die abhängig Beschäftigten sein können. Schülerinnen und Schüler auf die Arbeitswelt vorbereiten Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften wollen, dass Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die Arbeitswelt vorbereitet werden. Sie sollen ihren beruflichen und privaten Lebensweg aktiv und eigenverantwortlich gestalten können. Dazu gehört auch, dass sie schon vor der Berufswahl wissen, welche unterschiedlichen Interessen es in der Wirtschaft gibt. In einer Welt, die zunehmend in allen Lebensbereichen von Vermarktlichung und Konkurrenz geprägt ist und in der gesellschaftliche Problemlagen als individuelle Defizite und Defekte erscheinen, müssen junge Menschen auch die Gelegenheit haben, kooperative Umgangsformen zu lernen, gemeinsame Interessen zu erkennen, zu vertreten und solidarisches Handeln einzuüben. Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers und deren Mitsprachemöglichkeiten zu kennen, ist dabei umso wichtiger, da die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler später diese Rolle im Arbeitsleben einnehmen wird. Bereits vor dem Eintritt ins Arbeitsleben sollten sie erfahren haben, dass Gewerkschaften, Betriebsräte und Jugendvertretungen die Interessen der Beschäftigten in der Wirtschaft vertreten und dass es wichtig ist, sich allein und in der Gemeinschaft für seine Interessen einzusetzen. Diese Lerninhalte müssen in den Lehrplänen und Schulbüchern für die allgemeinbildenden Schulen kontinuierlich über alle Klassenstufen hinweg festgeschrieben sein. Die von Seiten der Wirtschaft vorgeschlagenen Bildungsstandards für ein Fach Wirtschaft widersprechen diesem ganzheitlichen Bildungsansatz. Das Gründen eines Unternehmens, die Geldanlage oder die Gestaltung einer privaten Finanz- und Altersversorgung sind zwar wichtige Themen. Die Bildungsstandards greifen aber insgesamt zu kurz, sie sind fachlich und politisch einseitig und können nicht beanspruchen, jungen Menschen die für ihr zukünftiges Leben in der Wirtschafts- und Arbeitswelt notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. Da sie einseitig nur die „ökonomische“ Denkweise vermitteln, verhindern sie, dass die Lernenden die Ökonomisierung von Gesellschaft und Politik reflektieren und beurteilen und eigene Vorstellungen von einer humanen Wirtschaft entwickeln. Sozioökonomische Bildung statt eindimensionaler Betriebs- und Volkswirtschaftslehre Statt eines eindimensional strukturierten auf Betriebs- und Volkswirtschaftslehre reduzierten Fachs „Wirtschaft“ ist eine sozioökonomische Bildung in der Schule wichtig, die auf Selbsterkenntnis, kritisch reflektiertem Handeln und sozialer wie auch ökologischer Verantwortung basiert. Dies ist in schon bestehenden Fächern wie Politik, Arbeitslehre, Geschichte oder in entsprechenden Kombinationsfächern verortet, muss aber weiter verbessert werden. Sozioökonomische Bildung verzahnt die Inhalte der verschiedenen Fächer und behandelt ökonomische Fragestellungen in unterschiedlichen Zusammenhängen, Einflüssen und Bezugsdisziplinen. Auch vor dem Hintergrund bereits voller Stundentafeln und der großen Stofffülle ist es nicht zweckdienlich, neue Einzelfächer zu konstruieren. Die Anforderungen an Schülerinnen und Schüler sind heute schon immens. Wer ein zusätzliches Unterrichtsfach Wirtschaft fordert, muss sagen, auf Kosten welcher Fächer oder welcher anderen Inhalte die zusätzlichen Unterrichtsstunden gehen sollen. Neben der Lobbyarbeit für ein Fach Wirtschaft und entsprechende Bildungsstandards versucht die Privatwirtschaft Unterrichtsinhalte über Lehrmaterialien zu beeinflussen. Vom Bankenverband bis zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Arbeitgebernahe Institutionen und Organisationen überfluten die Schulen mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien – häufig unterstützt von staatlichen Stellen, Universitätsinstituten oder wirtschaftsnahen Stiftungen und Medienverlagen. Ihr Ziel ist es, das eigene Wirtschaftsverständnis in den Schulen zu verankern. Ihre Begründung: die bisherigen Lehrbücher sähen die unternehmerische Wirtschaft zu kritisch und setzten nicht die richtigen Schwerpunkte. Zudem seien die Schülerinnen und Schüler zu wenig auf die Arbeitswelt vorbereitet. Auch fehle ihnen wirtschaftliches Verständnis und nicht zuletzt ausreichende Kenntnisse über den Finanzmarkt. Zudem scheinen zahlreiche Lehrmaterialien zur Finanzbildung das Ziel zu verfolgen, das durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise gestörte Vertrauen in die Märkte und die Finanzindustrie wieder zu stärken ohne auch nur annährend die Ursachen der Krise und die zukünftigen Risiken zu behandeln. Keine einseitige Meinungsbeeinflussung in der Schule Flankiert durch regelmäßige Auftragsstudien, die erschreckende Wissenslücken junger Menschen in Wirtschafts- und Finanzfragen belegen sollen, macht es die chronische Unterfinanzierung des staatlichen Schulwesens den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden leicht, Abnehmer für ihre Materialien im Schulbereich zu finden: ihre Unterstützung wird von den Schulen nicht selten dankbar aufgenommen – gerade wenn Fachlehrer/innen fehlen. Damit erhalten Wirtschaftsverbände und Unternehmen einen direkten Zugang zu Schülerinnen und Schülern und können deren Verständnis von Wirtschaft und Arbeitswelt ganz in ihrem Sinne prägen. Diese immer vielfältigeren Versuche, den Bildungsauftrag von Schule und die Vorstellungen junger Menschen von der Wirtschaftswelt interessegeleitet in eine Richtung zu lenken, sind nicht akzeptabel. Wir vertrauen zwar der Urteilsfähigkeit von Lehrer/innen und Schüler/innen gegenüber derlei Manipulationsversuchen: Einseitige Einflussnahmen allerdings sind grundsätzlich abzulehnen und auch manipulative Materialien haben an Schulen nichts verloren. Der DGB und die Gewerkschaften formulieren folgende Eckpunkte für sozioökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen:
Quelle: DGB Positionspapier „Wirtschaft in der Schule – Was sollen unsere Kinder lernen?“; beschlossen am 04.09.2012 vom DGB-Bundesvorstand Verweise zu diesem Artikel: Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.11.2012 |
Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info Druckdatum: 18.04.2024 |