Nachrichten-ArchivZurück zur ÜbersichtAus- und Weiterbildung stärken, Abbrüche verringern, Erfolgsquoten erhöhenDer Bundestag wolle beschließen:I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Die berufliche Bildung im dualen System von beruflicher Schule und Betrieb spielt in Deutschland traditionell eine große Rolle bei der Ausbildung von Fachkräften. Qualifikationen für viele Berufe, die in anderen europäischen Staaten an Hochschulen oder beruflichen Schulen vermittelt werden, werden in Deutschland im Zusammenspiel von Betrieb und Schule unter Fachaufsicht der Sozialpartner im dualen System vermittelt. Diese betriebsnahen Ausbildungen tragen wesentlich dazu bei, dass der Schritt von der Ausbildung in das erste qualifizierte Arbeitsverhältnis in Deutschland überdurchschnittlich häufig gelingt. Trotzdem ist in den letzten Jahren die Bindungskraft der betrieblichen Ausbildung gesunken, weil ein konstanter Anteil von ca. einem Drittel aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger den Einstieg in die duale Ausbildung nicht findet. Dies betrifft vor allem Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss oder mit einem Hauptschulabschluss verlassen. Diese jungen Menschen werden zum Großteil zwar mit öffentlich finanzierten Alternativangeboten versorgt, die einen mehr oder weniger großen Bildungsanteil haben. Diese „Ersatzangebote“ verschließen ihnen aber viel zu häufig die Tür zu einem qualifizierenden Abschluss. Stattdessen wandern die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch das so genannte Übergangssystem, das ihnen oft nur den Übergang in eine unqualifizierte, schlecht bezahlte und kaum zukunftsfeste Beschäftigung ermöglicht. Allein in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen haben 15 Prozent, das sind 1,5 Millionen Menschen, keinen Berufsabschluss. Auch wenn die Arbeitslosigkeit von unter 30-Jährigen in Deutschland in den letzten Jahren im europäischen Vergleich noch immer gering war, besteht also dringender Handlungsbedarf. Die Strategie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, auch diese Gruppe der Ausbildungsuchenden vorrangig „in Beschäftigung“ zu vermitteln, ist jedoch ein falscher Ansatz. Junge Menschen brauchen einen Ausbildungsabschluss für ihre individuelle Lebensperspektive. Angesichts des Fachkräftemangels ist es auch für die Gesellschaft nicht akzeptabel, dieses individuelle Potenzial und ihre Lebenszeit zu vergeuden. Der aktuelle Berufsbildungsbericht macht deutlich, dass es in Deutschland nach wie vor keinen chancengerechten Zugang zum Ausbildungsmarkt für alle Jugendlichen gibt. Die soziale Schere hat sich in den letzten Jahren sogar noch vergrößert. Von dem Leitbild einer offenen Gesellschaft, die allen Menschen die gleichen Chancen auf Bildungserfolg und damit den sozialen Aufstieg ermöglicht, ist Deutschland noch weit entfernt. Bei der Integration ausländischer Jugendlicher gibt es keine Verbesserungen. Nur knapp ein Drittel der jungen Ausländer beginnt eine Ausbildung – unter den deutschen Jugendlichen sind es zweimal so viele. Im zuletzt erfassten Jahr 2009 ist die Quote sogar noch gesunken. Maßnahmen zur Förderung von Ausbildung im weitesten Sinne sollten so früh wie möglich in der Bildungsbiografie ansetzen. So können etwa frühe Unterstützungen wie intensivere Berufsorientierung spätere teure „Reparaturmaßnahmen“ überflüssig machen und dadurch die öffentliche Hand und die Beitragszahlerinnen und -zahler der Bundesagentur für Arbeit (BA) entlasten. Deswegen sind Unterstützungsmaßnahmen des Bundes im Bereich der Kooperation von allgemeinbildenden Schulen mit beruflichen Schulen und Betrieben besonders sinnvoll. So zielt etwa das Programm der Bundesregierung „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ in die richtige Richtung. Leider geht es nicht weit genug, denn die zur Verfügung stehenden Mittel sind zu niedrig angesetzt, so dass viele Schulen, die bereits Konzepte zur Teilnahme erarbeitet hatten, nicht zum Zuge kommen werden. Zudem ist das Programm nur unzureichend mit den bereits bestehenden Programmen auf kommunaler und Landesebene abgestimmt worden. Im Herbst 2010 hat die Bundesregierung den Ausbildungspakt mit der Wirtschaft verlängert. Dabei sind mit der Kultusministerkonferenz und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration zwei wichtige Akteure hinzugewonnen worden. Doch auch sechs Jahre nach dem ersten Ausbildungspakt gibt es immer noch weniger Ausbildungsplätze als Bewerberinnen und Bewerber. Leider hat es die Bundesregierung versäumt, sich zusammen mit den Paktpartnern aus der Wirtschaft ehrgeizige und für die Öffentlichkeit über- prüfbare Ziele zu setzen. Statt für die nächsten Jahre jeweils 60 000 neue Ausbildungsplätze verbindlich zu vereinbaren, haben die Paktpartner auf den demografischen Wandel verwiesen. Diese Begründung überzeugt angesichts von mehr als 250 000 Bewerberinnen und Bewerbern für das Ausbildungsjahr 2010, die bereits 2008 oder früher die Schule verlassen haben, nicht. Im Jahr 2011 wird die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im Vergleich zum Vorjahr steigen, da die Wehrpflicht zum Sommer 2011 ausgesetzt wird und in Bayern und Niedersachsen doppelte Abiturjahrgänge die Schulen verlassen werden. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
Berlin, den 12. April 2011 Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion Begründung Bundesweit wurden vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2010 560 073 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen; das ist ein Minus von 0,8 Prozent und gleichzeitig die niedrigste Zahl seit 2005. Zwar ist die Zahl der „unversorgten“ Bewerber laut Statistik der BA im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr gesunken, jedoch gibt es weitere 72 342 Jugendliche, die zwar eine Alternative zu einer Ausbildung begonnen haben, ihren Vermittlungswunsch aber aufrechterhalten haben. Hinzu kommen diejenigen Jugendlichen, die in der Statistik nicht mehr als Ausbildungsuchende auftauchen, weil sie keine weitere aktive Hilfe nachfragten. Laut einer Umfrage der BA und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) sind dies 95 908 gewesen. Von diesen sind rund 28 Prozent zwar offiziell nicht mehr ausbildungssuchend aber gleichzeitig arbeitslos. Auch im Ausbildungsjahr 2010 sind ca. 320 000 Jugendliche neu in Maßnahmen des Übergangssystems eingetreten, die sie idealerweise auf die Berufsausbildung vorbereiten, häufig aber eher dazu führen, dass sie Qualifikationen verlieren und nach der Maßnahme weiterhin keinen Ausbildungsplatz finden. Die Zahlen des Berufsbildungsberichtes 2011 machen deutlich, dass das deutsche Ausbildungssystem nach wie vor gravierende Mängel aufweist. Auf 100 Jugendliche, die eine Ausbildung beginnen wollen und sogar als „ausbildungsreif“ gelten, kamen 2010 nur 89,9 unbesetzte Ausbildungsstellen. Zwar kam es insgesamt zu einer leichten Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt im Vergleich zu den Vorjahren, doch darf sich die Bundesregierung nicht allein auf den demografischen Wandel und den Ausbildungspakt verlassen, sondern muss die Reformen im Ausbildungssystem endlich angehen. Denn trotz der zurückgehenden Bewerberzahlen wird aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge in einigen Bundesländern und der Aussetzung der Wehrpflicht Handeln notwendig, um zu verhindern, dass die Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz finden. Kleinen und hoch spezialisierten Betrieben, die bisher nicht ausbilden, wird es im Rahmen des Konzeptes DualPlus erleichtert, sich an betrieblicher Ausbildung zu beteiligen. Sie können praktische Anteile im Umfang von mehreren Monaten bereitstellen, die die Jugendlichen im Rahmen ihrer Ausbildung für einen Aus- bildungsbaustein nutzen. Mit der Nationalen Qualifizierungsinitiative, die 2008 beschlossen wurde, wollte die Bundesregierung einen Schub in Richtung einer „Bildungsrepublik“ auslösen. Allerdings ist ihr das bisher nicht gelungen. Ein wichtiges Ziel im Rahmen der Nationalen Qualifizierungsinitiative war die Verringerung der Zahl der Schulabbrecher von 8 auf 4 Prozent bis 2015. Davon ist Deutschland mit einem Prozentsatz von 7,5 noch weit entfernt. Im Jahr 2009 verließen deutschlandweit etwa 58 000 Menschen die allgemeinbildenden Schulen ohne einen Hauptschulabschluss. Durch ein flächendeckendes Angebot von Produktions- schulen könnte die Zahl von jungen Menschen ohne Schulabschluss entscheidend gesenkt werden. Besonders große Probleme gibt es bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sie haben es ungleich schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Zwar ist es richtig, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Mittel zur frühen Sprachförderung bereitstellt, doch reicht es nicht aus, nur auf die frühe Förderung zu setzen. Die Sprachfertigkeit muss kontinuierlich über die ganze Bildungsbiografie hinweg gefördert werden. Um dies auch während einer beruflichen Ausbildung leisten zu können, bieten die überbetrieblichen Ausbildungsstätten den geeigneten Raum. An der Finanzierung der ÜBS beteiligen sich über die Kammern auch Betriebe, die nicht ausbilden. Die flexiblere Dauer der Ausbildung im Rahmen von DualPlus kann auch dem individuell unterschiedlichen Bedarf der Förderung Rechnung tragen. Davon würden insbesondere auch Jugendliche mit Migrationshintergrund profitieren. So kann auch die Zweisprachigkeit von Auszubildenden gefördert werden, um aus einem vermeintlichen Defizit eine individuelle Stärke und anerkannte Kompetenz zu machen. Um alle Potenziale der Menschen, egal welchen Alters, voll auszuschöpfen, muss unsere Gesellschaft weiterbildungsaktiver werden. Voraussetzung dafür sind die Schaffung von guten Rahmenbedingungen für die Weiterbildung und eine verbesserte Durchlässigkeit des Bildungssystems. Insbesondere Ältere, Menschen mit Migrationshintergrund, Geringqualifizierte und Frauen nach der Familienphase müssen verstärkt für Qualifizierungsmaßnahmen gewonnen werden. Hier ist die Bundesregierung gefragt, gemeinsam mit den Sozialpartnern ein umfassendes System von betrieblicher Weiterbildung zu entwickeln. Um die Finanzierung des Lebensunterhalts zu sichern, muss ein „Erwachsenen-Bafög“ entwickelt werden. Die bisher existierende Bildungsprämie reicht nicht aus und erreicht vor allem nicht die Zielgruppe der Teilzeitbeschäftigten und der Geringqualifizierten. Unter denen befinden sich aber die vielfach angesprochenen „ungenutzten Potenziale“ für mehr gut qualifizierte Fachkräfte: oft gut ausgebildete, nun aber teilzeitbeschäftigte Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, von denen bis zu 300 000 einen ausländischen Bildungsabschluss haben, der in Deutschland noch immer nicht anerkannt wird. Die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen, bedeutet auch eine Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte. Hochschulen halten zwar oft Studienplätze für diese Gruppe vor, die aber nicht alle besetzt werden. Bisher liegt die Zahl der Studierenden mit beruflichem Abschluss bei 1 Prozent. Das Bundesprogramm „Aufstiegsstipendien“ mit bisher ca. 2 500 Stipendien seit 2008 reicht nicht aus. Die Länder haben infolge ihres Stralsunder Beschlusses von 2009 zwar die rechtlichen Voraussetzungen verbessert. Allerdings müssen der Theorie nun die Umsetzung und ein Mentalitätswandel in der universitären Praxis folgen. Zum einen muss über die neuen rechtlichen Möglichkeiten für ein Studium ohne klassische Hochschulreife informiert werden und entsprechende Studienbedingungen etwa durch Brückenkurse geschaffen werden. Zum anderen fehlt es an berufsbegleitenden Studienangeboten am Abend oder am Wochenende. Hier muss die Bundesregierung im Rahmen ihrer Verhandlungen mit den Ländern etwa zum Hochschulpakt stärker einwirken. Eine weitere Einflussmöglichkeit des Bundes liegt im Prozess der Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens. Dort müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, um Kompetenzen aus der beruflichen Aus- und Weiterbildung für die Hochschulbildung erkennbar, anerkennbar und damit nutzbar zu machen. Quelle: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/5489 Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 19.05.2011 |
Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info Druckdatum: 19.04.2024 |