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„Berufliche Weiterbildung in Europa – Was Deutschland von nordeuropäischen Ländern lernen kann“

1. Anlass: Fachkräftemangel in Deutschland

Für Deutschland und insbesondere für Ostdeutschland wird seit Ende der 1990er Jahre ein dramatischer Fachkräftemangel prognostiziert. Der sich deutlich abzeichnende Fachkräftemangel in Ostdeutschland wurde auch in vielen Branchenstudien der OBS diagnostiziert und systematisch in der kürzlich vorgelegten Studie „Fachkräftemangel in Ostdeutschland“ (OBS-Arbeitsheft 65) durch Burkart Lutz belegt. Trotz unterschiedlicher Initiativen von Bundes- und Landesregierungen sowie tarifpolitischer Ansätze der Gewerkschaften haben sich die Einstellungsmuster und das Weiterbildungsverhalten deutscher Unternehmen bislang kaum verändert. Vor dem Hintergrund dieser Problemlage war es das Ziel der von Rainer Weinert durchgeführten Studie (OBS-Arbeitsheft 66), eine Analyse tarifpolitischer Weiterbildungsstrategien in skandinavischen Ländern vorzunehmen und deren mögliche Bedeutung für Deutschland, insbesondere für Ostdeutschland, aufzuzeigen. Die skandinavischen Länder weisen wesentlich höhere Teilnahmequoten in der beruflichen Weiterbildung auf als Deutschland.


2. Fragestellung: Was können wir von den skandinavischen Ländern lernen?

Was sind die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern? Was machen diese besser? Was können wir von ihnen lernen? Da die guten Ergebnisse in der beruflichen Weiterbildung in Skandinavien entscheidend durch gewerkschaftliche Einflussnahme zustande kommen, wird in der Studie vor allem der Frage nachgegangen, welche konkreten Beiträge gewerkschaftliche Tarifpolitik zur Förderung der Weiterbildungsteilnahme leisten kann. Abschließend analysiert Weinert, welche Anknüpfungspunkte sich für gewerkschaftliche Politik in Deutschland und Ostdeutschland ergeben. Betrachtet werden die Länder Dänemark, Norwegen und Schweden. Auf Schweden wird ausführlicher eingegangen, weil die hier feststellbaren Entwicklungen für die Situation in Deutschland von besonderer Bedeutung sind.


3. Methode: Sekundäranalyse und Akteursgespräche

Die Studie ist angelegt als Mix aus Sekundäranalyse und Akteursgesprächen mit Tarifexperten europäischer Metall-Gewerkschaften. In der Sekundäranalyse wird bereits vorhandenes Material unabhängig vom ursprünglichen Zweck und Bezugsrahmen der Datensammlung ausgewertet. Für die Abbildung der Europäischen Wirklichkeit wird der Spannungsbogen von beruflicher Weiterbildung als privatem bzw. öffentlichem Gut in idealtypische Stufen untergliedert. Dadurch können zunächst die unterschiedlichen europäischen Regelungen beschrieben und eingeordnet werden. Im zweiten Schritt werden diejenigen Weiterbildungskonzepte in den Blick genommen, die auch für Deutschland und im Besonderen für Ostdeutschland von Bedeutung sind.


4. Hintergrund: Deutscher Nachholbedarf bei beruflicher Weiterbildung

Die Ergebnisse zeigen, dass die tarifpolitischen Instrumente sich kaum von denen unterscheiden, die in Deutschland Anwendung finden (Branchen-Fonds, gemeinsame Einrichtungen der Sozialpartner, Mitarbeiter- oder Qualifizierungsgespräche). Der grundlegende Unterschied ist weniger auf der Ebene der Tarifpolitik anzusiedeln als auf der Ebene der gesetzlichen Anspruchsrechte der Arbeitnehmer, die im Norden Europas wesentlich umfangreicher sind als in Deutschland. Berufliche Weiterbildung wird durch ein unterstützendes Klima in den Betrieben, in den Verbänden und beim Staat gefördert, was einen zentralen Unterschied zu Deutschland ausmacht. In Deutschland wird berufliche Weiterbildung eher restriktiv gehandhabt. Bestätigt wird dies in zwei von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) kürzlich vorgelegten Studien: in der Studie „Bildung auf einen Blick“ als auch in einer umfassenden „Länderstudie zur beruflichen Bildung“. Dort wird die berufliche Bildung in Deutschland als leistungsfähig bewertet. Gleichzeitig weist die OECD-Studie darauf hin, dass die berufliche Bildung stärker auf die Möglichkeiten der Weiterqualifikation ausgerichtet werden muss.


5. Anknüpfungspunkt: „Technik-Colleges“ als gemeinsame Lösung der Sozialpartner

Ein neuer Anknüpfungspunkt für gewerkschaftliche Weiterbildung stellt das erfolgreiche schwedische Konzept der „Technik-Colleges“ dar. Technik-Colleges sind eine gemeinsame Aus- und Weiterbildungsinitiative der Sozialpartner in Schwedens Metallindustrie, deren Ziel es ist, dem auch dort zu beobachtenden Fachkräftemangel frühzeitig zu begegnen und eine praxisnahe, an den Anforderungen der Betriebe und den Interessen der Arbeitnehmer orientierte Qualifizierung zu ermöglichen. Technik-Colleges sind keine neuen Bildungseinrichtungen. Vielmehr bedienen sie sich der bestehenden Struktur des staatlichen und nicht-staatlichen Aus- und Weiterbildungssystems. Der Titel „Technik-College“ wird an Schulen oder Weiterbildungseinrichtungen vergeben, wenn genau definierte Kriterien eingehalten werden. Zentrales Anliegen ist, Qualifikationsstandards der Beschäftigten zu erhöhen, Nach-Qualifizierung zu ermöglichen, Lese- und Schreibkenntnisse auszubauen sowie mathematische Fertigkeiten jüngerer Arbeitnehmer zu verbessern.


6. Ergebnis: Übertragbarkeit auf Deutschland ohne zusätzliche Kosten möglich

Das erfolgreiche schwedische Konzept kann auf Deutschland übertragen werden, so die Studie. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Betriebe müssten sich auf ein berufliches Qualifizierungskonzept verständigen, das unterschiedliche Weiterbildungsmaßnahmen umfasst und verpflichtende Kriterien definiert. Das Ziel, jüngere und ältere Arbeitnehmer weiterzubilden, wird mit Maßnahmen der Nachqualifizierung und auch der vorausschauenden Qualifizierung erreicht. Kurzfristige Anpassungsqualifizierungen wären ebenso denkbar wie systematische Weiterbildungsmaßnahmen, die zu formellen Abschlüssen führen. Es entstünden kaum zusätzliche Kosten für die Betriebe bei der Errichtung von Technik-Colleges, da keine neuen Bildungseinrichtungen geschaffen werden, sondern mit den bestehenden Einrichtungen kooperiert wird. Eine solche gemeinsame Initiative der Sozialpartner könnte dazu beitragen, dem sich dramatisch abzeichnenden Fachkräftemangel in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, zu begegnen.


7. Ziele: Mitbestimmte und zertifizierte berufliche Weiterbildung gegen Fachkräftemangel
  • Qualitätsstandards für berufliche Weiterbildung einführen;
  • Mitbestimmung von Sozialpartnern und Unternehmen in der beruflichen Weiterbildung erhöhen;
  • Lösungswege, um dem deutschen, insbesondere ostdeutschen Fachkräftemangel, zu begegnen.



Quelle: Zusammenfassung der Studie zur beruflichen Weiterbildung in Deutschland, Otto-Brenner-Stiftung

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Otto-Brenner-Stiftung.

Auf der Homepage der Otto Brenner Stiftung erhalten Sie weitere Informationen zur beruflichen Weiterbildung.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufliche Weiterbildung, Betriebliche Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.11.2010

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024