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Dokumentation der ver.di Tagung am 28./29. August 2009

Zukunft der Bildung

Mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen nahmen am 28. und 29. August 2009 an der gemeinsam von den Fachbereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Besondere Dienstleistungen in ver.di veranstalteten Fachtagung „Zukunft der Bildung“ teil. Was muss sich am deutschen Bildungssystem ändern, um Chancengleichheit für Alle zu erreichen? So lautete die zentrale Fragestellung der Fachtagung. Klar ist, das Bildungssystem ist hochgradig selektiv. Wer hat, dem wird gegeben. Kosmetische Operationen an einzelnen Teilen des Bildungssystems werden nicht ausreichen, sollen die Forderungen nach „Bildung für Alle“ oder „Lebenslangem Lernen“ mit Leben erfüllt werden.

In den Programmen der im Bundestag vertretenen Parteien findet sich eine große programmatische Übereinstimmung in Bildungsfragen. Alle wollen mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen erreichen. Dumm nur für die Betroffenen, dass nirgendwo steht, was unter Gerechtigkeit konkret zu verstehen ist. In der Realität ist Gerechtigkeit genau das, was die Gesellschaft für gerecht hält, so Prof. Ehmann in seinem Eingangsreferat. Es klafft eine große Lücke zwischen den tatsächlich vorhandenen Chancen, an Bildung ausreichend teilnehmen zu können und den politischen Forderungen der Parteien.

Alle betonen die Notwendigkeit der frühkindlichen Bildung und der ausreichenden Versorgung mit Kindertagesstätten. Bis heute sind die Kindertagesstätten beitragspflichtig. Das führt dazu, dass Familien mit niedrigem Einkommen ihre Kinder nicht in die Kita schicken. Relativ hohe Beiträge und geringe Möglichkeiten, bei der Einkommenssteuer entlastet zu werden, hält sie davon ab.
Die allgemeine Schulgeldfreiheit ist inzwischen unbestritten. Durch die Absetzbarkeit von Schulgeldern bei Privatschulen fördert der Staat die Spaltung der Schüler in Privatschüler und in „Schmuddelkinder“, die öffentliche Schulen besuchen. Die Übernahme der Kosten für Lernmittel bei Gymnasiasten, die häufig aus Familien mit höherem Einkommen kommen, begünstigt die, die sich die Ausbildung der Kinder auch privat leisten können.

Wer im allgemeinen Schulwesen nicht Schritt halten kann, wird in die Förderschule abgeschoben. Statt alle Kinder mit individuellen Fördermaßnahmen am regulären Schulbetrieb teilnehmen zu lassen, erfolgt eine soziale Selektion durch Aussonderung in besondere Bildungseinrichtungen. Angeblich bedarf es homogener Gruppen, damit Lernen mit Erfolg funktionieren kann. Das lässt sich der Staat einiges kosten. Fast 20 % der Bevölkerung befinden sich in Bildungsmaßnahmen, die außerhalb des regulären Schul- und Ausbildungswesens stattfinden. In Wirklichkeit fördert die Förderschule nicht, sie schließt betroffene Kinder aus der regulären Ausbildung aus und bereitet sie auf ein Leben im Prekariat vor.

Der Slogan vom „Aufstieg durch Bildung“ schließt die „Absteiger“ von Bildung aus. Wer Bildung unter den Begriff des Aufstiegs stellt, fördert gewollt die soziale Selektivität von Bildung. Die Theorie homogener Gruppen und damit auch homogener Lerngruppen ist völkisch begründet und geprägt. Wer Aufstieg durch Bildung fordert, fördert soziale Selektion und verhindert Chancengerechtigkeit in der Bildung.

Gewerkschaften müssen sich wieder stärker in bildungspolitische Diskussionen einmischen, wenn sie Partei für ein Bildungswesen ergreifen wollen, dass Chancengleichheit in der Bildung verwirklichen kann. Dazu wären jedoch grundlegende Änderungen insbesondere am bisherigen Schulsystem notwendig. Die alte deutsche Standesschule mit ihrem dreigliedrigen Schulsystem muss überwunden werden. Wir benötigen eine Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder den ganzen Tag verpflichtend betreut werden. Die Lehrpläne müssen auf die Heterogenität der Lernenden angepasst werden. Bildung ist ein Menschenrecht. Sie muss für alle Kinder von der Kita bis zum Uniabschluss kostenfrei sein. Wir müssen aus der „Kosten-Nutzen“ Mentalität in bildungspolitischen Fragen ausbrechen und bereit sein, unbequeme Fragen und Forderungen zu stellen. Wenn die neue Regierung die Sozialsysteme kürzen will, um mehr Geld in die Bildung zu stecken, müssen wir den Mut haben, zu sagen: Kürzen wir den Wehretat für mehr Bildung! Das schafft Bildungschancen für alle!


Peter Schulz-Oberschelp
Netzwerk-Weiterbildung

Sie können die Broschüre hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Lebenslanges Lernen, Ausbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.06.2011