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Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung zwischen Ökonomie und Pädagogik. Ein kritischer Einwurf

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich hier heute anlässlich dieses Fach- und Praxistages für Weiterbildnerinnen und Weiterbildner in Schleswig-Holstein zu Ihnen sprechen zu dürfen. Was wäre das für eine pädagogische Wissenschaft, die den Bezug zur Praxis verlöre? Wir benötigen Ihren Input, um die Professionalisierung in der Weiterbildung vor dem Hintergrund sich kontinuierlich wandelnder gesellschaftlicher Erfordernisse bedarfsorientiert und zielgerichtet unterstützen zu können.

Ich möchte im Folgenden zunächst überblicksartig skizzieren, wie die Professionalitätsthematik derzeit in der wissenschaftlichen Erwachsenen- und Weiterbildung vorrangig diskutiert wird. Meine These ist, dass diese Diskussion eine ökonomische Schlagseite aufweist und dass es insofern sinnvoll wäre, sich wieder etwas stärker auf pädagogische Fragen – also auf Fragen nach der Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung – zu konzentrieren.

Dabei werde ich mich – angesichts der Zielgruppe dieser Tagung – auf die Lehrenden beziehen. Immerhin sind laut einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2005 in Auftrag gegebenen Studie „Zur sozialen und beruflichen Lage der Lehrenden in der Weiterbildung“ ca. 80% aller Weiterbildner1) und Weiterbildnerinnen im weitesten Sinne lehrend tätig (vgl. WSF 2005, S. 5). Dass es sich dabei um eine äußerst heterogene Berufsgruppe handelt, ist bekannt. Schon die Vielzahl an Tätigkeitsbezeichnungen illustriert dies. Da ist unter anderem von „Trainern“, „Teamern“, „Seminarleitern“, „Dozenten“, „Coaches“ und immer häufiger auch von „Lernberatern“ oder „Facilitatoren“ die Rede (vgl. hierzu Koob/Lattke 2008). Und wenn ich hier heute von „Lehrenden“ spreche, dann verwende ich einen Oberbegriff. Nur 14% aller Beschäftigungsverhältnisse von Lehrenden in der Weiterbildung sind sozialversicherungspflichtig (vgl. WSF 2005, S. 15). Ca. 73% der Beschäftigten haben zwar einen akademischen Abschluss (vgl. ebd., S. 5). Aber immerhin verfügen 34% über keinen pädagogischen Bildungshintergrund (vgl. ebd., S. 49) – sei er nun universitär oder nicht. Diese ausgewählten Daten sprechen eine deutliche Sprache: Die Professionalisierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung ist nicht nur eine kontinuierlich, sondern ebenso eine dringlich zu betreibende Aufgabe.

Eine standardisierte Qualifizierung von Weiterbildnern ist in Deutschland nach wie vor nicht vorhanden. Vielfältige Fort- und Ausbildungswege stehen relativ lose nebeneinander. Die angebotenen Abschlüsse, Bescheinigungen oder Zertifikate sind nur schwer vergleichbar (vgl. Kraft/Seitter 2008). Überdies haben viele Weiterbildner ihr pädagogisches „Rüstzeug“ auch vorwiegend informell, durch Learning by doing erworben. Und der Autodidakt – so schreibt schon der französische Soziologe und Philosoph Pierre Bourdieu – ist „Opfer seines Mangels an [...] verbrieftem Wissen“ (Bourdieu 1987, S. 515). Er steht insofern unter permanentem Beweiszwang. Es ist momentan in aller Regel vorab schwer einzuschätzen, was ein Weiterbildner/eine Weiterbildnerin tatsächlich kann.

Vor diesem Hintergrund mag es nun wenig überraschen, wenn die Professionalitätsthematik gegenwärtig en vogue ist – hier ist in der Tat noch einiges zu tun. Beweis für die behauptete Popularität der Thematik ist auch, dass die EU sie angesichts der kontinuierlich steigenden Bedeutung des lebenslangen Lernens auf ihre bildungspolitische Agenda gesetzt hat oder dass die Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vor gerade einmal zwei Monaten – also im September 2008 – in Berlin sich just „Professionalität“ als Tagungsthema ausgesucht hatte.

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Was ist eigentlich ein Profi? Besonders leicht geht uns das Wort „Profi“ im Fußball über die Lippen. Der Profi zeichnet sich vor allem durch öffentlich bekannte und festgelegte Handlungsorientierungen aus: Wir wissen ziemlich gut, was wir von ihm erwarten dürfen. Und dazu gehört bspw. nur in Ausnahmefällen, dass er uns Einblick in sein Seelenleben gibt. Es würde als unprofessionell gelten, wenn sich Michael Ballack durch private Probleme verunsichern ließe und deswegen seine Leistung auf dem Platz darunter litte. Vom Profi dürfen wir erwarten, dass er quasi abrufbereit auf hohem Niveau funktioniert – komme was wolle.

In der Erwachsenen- und Weiterbildung mag dies zwar mancher ähnlich sehen. Gleichwohl werden wohl die meisten von Ihnen aus eigener Erfahrung wissen, dass gerade die persönliche Authentizität in vielen Weiterbildungsbereichen einen für den Kurserfolg nicht unerheblichen Faktor darstellen kann. Andererseits bedarf es aber auch der emotionalen Distanzierung, sozusagen der Errichtung einer Art persönlicher Schutzzone – die aus dem Schuldienst hinlänglich bekannte Burnout-Problematik von Lehrern unterstreicht diese Notwendigkeit mit Nachdruck.

Ob nun das Zeigen und Kontrollieren von Emotionen zur Professionalität von Erwachsenen- und Weiterbildnern dazu gehören oder nicht – darüber dürfte kein einfacher Konsens zu erzielen sein. Anders gesagt: Augenscheinlich benötigen wir Kriterien, nach denen wir entscheiden können, was Professionalität in einem konkreten Handlungsfeld ausmacht.

Um diese Kriterien für Weiterbildner zu bestimmen, finden sich immer häufiger – gerade auch im Kontext europäischer bildungspolitischer Initiativen (wie etwa dem EQF, also dem European Qualifications Framework for Lifelong Learning [vgl. hierzu etwa Koob 2008]) – Überlegungen, Professionalität kompetenztheoretisch auszubuchstabieren, um so bestimmte technische Standards zu erhalten. Im Unterschied zu Qualifikationen, also „definierten Bündeln von Wissensbeständen und Fähigkeiten, die in organisierten Qualifizierungs- bzw. Bildungsprozessen vermittelt werden“ (Gnahs 2007, S. 22), setzen sich Kompetenzen aus Wissensbeständen, Fertigkeiten und persönlichen Fähigkeiten bzw. Eigenschaften eines Menschen zusammen, die dieser zur Bewältigung seiner beruflichen Aufgaben und zur selbsttätigen Steuerung seines Handelns im beruflichen Kontext benötigt. (vgl. Bernien 1997, S. 25)
Ein Lehrender in der Weiterbildung arbeitet demnach professionell, wenn er innerhalb des Lehr-Lern-Settings a) sein fachliches und pädagogisches Wissen, b) seine didaktisch-methodischen Fertigkeiten und c) seine persönlichen Eigenschaften situativ zur Optimierung der Lernerfolge der Teilnehmer anzuwenden vermag. Dazu benötigt er ein bestimmtes Kompetenzprofil. Da jedoch bislang eher verstreute Informationen über ein solches vorliegen, werden derzeit mehrere Studien durchgeführt, die zur Beseitigung dieses Defizits beitragen sollen (ich komme darauf gleich zurück). Wenn wir wissen, was Lehrende in der Weiterbildung können sollen, lassen sich im Anschluss auch Fortbildungsinhalte bedarfsgerecht bestimmen. Zunächst geht es aber um die Herleitung von Kriterien, die definieren, was Professionalität im Weiterbildungshandeln im Einzelnen genau ausmacht.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wer diese Kriterien festlegt und was geschieht, wenn man diese erst einmal festgelegt hat. Diese Frage hat etwas mit dem Selbstverständnis der Erwachsenenbildung bzw. – noch allgemeiner gesprochen – der Pädagogik zu tun. Die Pädagogik ist von jeher janusköpfig: Sie reflektiert Bildung und Erziehung, und sie schlägt auf Bildung und Erziehung ausgerichtete Handlungen vor, sie ist also sowohl Reflexions- wie Handlungswissenschaft. Bei dieser Bestimmung bleiben die Ziele von Bildung und Erziehung zunächst noch im Dunkeln. Sollten diese Ziele primär von der Ökonomie definiert werden, definiert also die Ökonomie, was zu lehren und zu lernen ist, so wäre die Pädagogik lediglich eine Hilfswissenschaft.

Im Bereich der betrieblichen Weiterbildungspraxis wird man sich dagegen kaum zur Wehr setzen können und wollen. In der Regel liegt hier den Bemühungen um die Professionalisierung von Trainern die Frage zu Grunde, was ein Beschäftigter, der an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnimmt, können muss, um seinen Job so effizient und gut wie nur irgend möglich zu erledigen. Sollten wir aber eine solche Perspektive auch zum alleinigen Maßstab für die Festlegung von Kompetenzprofilen für Lehrende in der Weiterbildung machen?

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Ich meine nein. Und zentrale Institutionen in der Erwachsenenbildung scheinen das ähnlich zu sehen. Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) führt derzeit bspw. eine Delphi-Studie zur Ermittlung eines zukunftsfähigen Kernkompetenzprofils für Lehrende in der Erwachsenen- und Weiterbildung durch. An dieser Studie sind mehrere europäische Länder beteiligt, sodass dadurch zusätzlich ein Beitrag zu einer Internationalisierung der Weiterbildung geleistet wird. Konkret werden in jedem Land ca. 50 Experten hinsichtlich ihrer Einschätzung befragt, welche Kompetenzen heute und welche in zehn Jahren von besonderem Gewicht sind bzw. sein werden. Zu den Experten zählen Lehrende, Wissenschaftler, Verbandsrepräsentanten, Leiter von Weiterbildungseinrichtungen bzw. von Personalabteilungen in Unternehmen sowie Bildungspolitiker. Überproportional – und zwar zur Hälfte – werden jedoch Lehrende befragt, weil hier die größte Expertise vermutet wird. Mit dieser Komposition der Expertenstichprobe kann sichergestellt werden, dass das gesuchte Kompetenzprofil keineswegs ausschließlich ökonomische, sondern vielmehr auch und gerade pädagogische Perspektiven berücksichtigt.

Neben dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung sind aktuell noch weitere wissenschaftliche Institute und auch Einzelpersonen bemüht, Kompetenzprofile für Weiterbildner zu bestimmen und hierauf fußend einen Qualifikationsrahmen oder ein trägerübergreifendes Zertifizierungssystem zu entwickeln. Stellvertretend sei hier auf das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung und Verbesserung der Chancengerechtigkeit durch Kompetenzförderung von Weiterbildnern und Weiterbildnerinnen“ – kurz: KomWeit – an der Universität München verwiesen (http://www.komweit.de) (wobei es dabei zunächst primär um die Ermittlung des Fortbildungsbedarfs geht – und zwar von allen in der Weiterbildung Beschäftigten). Auch die von der Wirtschaftspädagogin Anke Reichert im Frühjahr 2008 an der Universität Rostock vorgelegte Studie „Trainerkompetenzen in der Wissensgesellschaft“ gehört in diesen Kontext.

Schaut man sich die meines Erachtens sehr gelungene Studie von Reichert an, so wird man feststellen, dass Trainer eine ungeheure Fülle an Kompetenzen aufweisen sollen. Reichert selbst spricht davon, dass es sich bei einem Trainer augenscheinlich um eine „eierlegende Wollmilchsau“ (Reichert 2008, S. 203) handeln müsse. In der Tat kann dieser Eindruck angesichts dessen, was von Trainern alles verlangt wird, entstehen. Da soll ein Trainer über ein reichhaltiges Methodenarsenal verfügen, Lerntheorien anwenden können, sich auf IT-Technologien verstehen, pädagogischer Therapeut sein und zunehmend auch unternehmerische Kompetenzen aufweisen. Defizitär an diesem – wie gesagt derzeit sehr häufig anzutreffenden, auf die Praxis gerichteten – Forschungsansinnen ist aus meiner Sicht, dass die eigentliche wissenschaftlich-pädagogische Reflexion doch jetzt erst anfängt.

Was meine ich damit? Angenommen, man einigt sich auf ein bestimmtes Kompetenzprofil. Dann hat man zunächst einmal ein diagnostisches Tool. Der Weiterbildner selber kann bilanzieren und reflektieren, wo er steht. Institutionen oder Organisationen werden in die Lage versetzt, bei der Vergabe von Aufträgen zu überprüfen, ob ein Weiterbildner die erforderlichen Kompetenzen aufweist. Ferner kann man Curricula entsprechend strukturieren, man kann also in Weiterbildungsveranstaltungen für Weiterbildner gerade jene Aspekte besonders akzentuieren, die bei den Bemühungen um die Erstellung eines solchen Profils eruiert wurden. Aber um das Vorliegen der Kompetenzen zu überprüfen bzw. sie in irgendeiner Weise zu vermitteln, müssen wir meines Erachtens viel genauer als bislang geschehen hinschauen. Was meint es denn eigentlich, wenn wir von einem Weiterbildner fordern, er oder sie solle empathisch sein, die Lernenden zum Nachdenken über unhinterfragte Wertvorstellungen anregen, mit Kritik umgehen können oder einfach „bloß“ authentisch sein?

Bei eher technisch interpretierbaren Kompetenzen – etwa den Umgang mit neuen Medien, der Konzeption zielgruppenorientierten Unterrichts oder der Lernereinstufung – mag es noch „relativ“ einfach möglich sein, diagnostische Kriterien an die Hand zu bekommen. Aber wie schaffen wir das bspw. bei Authentizität? Wir müssen also in die Tiefe gehen, wollen wir wirklich begreifen und überzeugend darlegen, warum solche Kompetenzen so wichtig sind und wie sie im Anschluss gefördert und vielleicht sogar bewertet werden können.

Wie kompliziert dies etwa für Authentizität ist, wird schon deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass professionell handeln ja immer auch bedeutet, aus einer bestimmten Rolle heraus zu handeln, etwas szenisch darzustellen, um so sozialen Erwartungen zu entsprechen. Insofern ist klar, dass zuviel Ich, zuviel Authentizität dem eigentlich konzeptionell entgegen steht. Andererseits wird in der Humanistischen Pädagogik immer wieder betont, wie wichtig gerade bei neueren und innovativen Lehr-Lern-Arrangements Echtheit, Unmittelbarkeit, Glaubwürdigkeit oder Offenheit eines Lehrenden sind. Um Menschen zu begeistern, sie mitzunehmen, ihnen – auch informelle – Lernmöglichkeiten zu erschließen, bedarf es dieses gewissen Etwas’. Also: Wie vermittelt man einem Weiterbildner dieses gewisse Etwas und wie passt man dieses doch so gar nicht geschäftsmäßig professionell daherkommende Etwas in eine professionelle Rollenbeschreibung ein? Diese Frage ist genauso schwer zu beantworten wie ihre Beantwortung – jedenfalls auf der Basis meiner eigenen Lehrerfahrungen – wichtig ist.

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Resümierend lässt sich bis hierhin festhalten: Die Professionalitätsdebatte in der wissenschaftlichen Erwachsenen- und Weiterbildung wird derzeit vor allem im Hinblick auf die Erstellung von Kompetenzprofilen, die Errichtung eines Qualifikationsrahmens und damit einhergehend die Einführung eines trägerübergreifenden Zertifizierungssystems für Weiterbildner geführt. Professionalitätsentwicklung meint dann eben in der Regel nicht, dass man sich um konkrete pädagogische oder didaktische Praxen kümmert. Nein. Weit mehr stehen organisatorisch-institutionelle Prozesse im Vordergrund. Und im Großen und Ganzen geht es um Qualitätsmanagement bzw. um Qualitätsentwicklung und -sicherung. Gefragt wird etwa, wie man den Veranstaltungserfolg evaluiert, wie man informell oder non-formal erworbene Lehrbefähigungen validiert oder wie man die berufliche Biographie eines Erwachsenenbildners offiziell bescheinigen kann. Da ist viel von Milieumarketing, von Kompetenzportfolio, von Kundenorientierung, von Benchmarking, von Weiterbildungscontrolling oder von Weiterbildung als Dienstleistung etc. die Rede.

Aus meiner Sicht läuft die Debatte damit ein wenig Gefahr, einer Ökonomisierung oder doch zumindest einer Technisierung der Erwachsenen- und Weiterbildung Vorschub zu leisten. Wir benutzen nicht einfach nur technische oder ökonomische Begriffe, sondern wir strukturieren damit eben immer auch unseren Blick auf die Realität und letztlich – sozialkonstruktivistisch betrachtet – mit unserem Blick die Realität selbst. Dadurch drohen die pädagogisch-didaktischen Probleme an den Rand gedrängt zu werden. Oder die Wissenschaft delegiert die pädagogischen Anliegen einfach an die Praxis. Nach dem Motto: „Hier habt ihr eure Kompetenzprofile; nun seht zu, wie ihr damit zurecht kommt.“ Ich fände das wenig zufriedenstellend.

Dass die skizzierte Entwicklung nicht zuletzt auf Vergabekriterien für öffentliche Forschungsmittel zurückzuführen ist, möchte ich zumindest erwähnen. Wer derzeit an der Erstellung von Kompetenzprofilen oder der Konstruktion eines Qualifikationsrahmens für Weiterbildner arbeitet, der hat relativ gute Chancen, hierfür Gelder einzuwerben.

Mir erscheint indes diskussionswürdig, ob wir mit der so forcierten Professionalitätsdebatte bisweilen nicht zu weit gehen. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, als seien Menschen nicht mehr als bloß Träger von Kompetenzen. Wir suggerieren mit unserer Rhetorik zudem, alles sei irgendwie plan-, mess-, berechen-, womöglich in Kennzahlen ausdrückbar. Während sich meine Kritik also bislang vorrangig auf die allzu technische, nicht in die Tiefe gehende Auflistung einer Vielzahl von Kompetenzen richtete, geht es mir nun darum, noch etwas genereller zu fragen, ob man die Tätigkeit von Weiterbildnern überhaupt technisieren kann. Der Philosoph, Soziologe und Anthropologe Helmuth Plessner hat einmal gesagt: „Die Elemente der menschlichen Welt bauen sich aus dem Unvorhersehbaren auf und stellen sich in Situationen dar, deren Bewältigung nie eindeutig und nur in Alternativen erfolgt“ (Plessner 1982, S. 143). Vielleicht trifft dies in ganz besonderem Maße auf die Erwachsenen- und Weiterbildung zu. Damit es hier zur „Kundenzufriedenheit“ kommen kann, muss der Kunde – und in diesem Fall ist der Lernende gemeint – sehr viel selbst beisteuern. Eine Konsumentenmentalität nützt da wenig. Das „Produkt“ Bildung wird im Prozess der Konsumption doch erst geschaffen. Es ist nichts, was einfach transferiert werden könnte. „In gewisser Weise“, so Horst Siebert (2006) in seinem Buch „Methoden für die Bildungsarbeit“, „sind Erwachsene zwar lernfähig, aber unbelehrbar.“

Ich meine also, dass es pädagogische, und damit eng verbunden auch psychologische, ethische und philosophische Aspekte gibt, die es wert sind, dass man ihnen in der akademischen Professionalitätsdebatte etwas mehr Aufmerksamkeit als bislang schenkt. Freilich sind solche Ansätze auch gegenwärtig schon zu finden. So wird an den Universitäten Tübingen und München ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt durchgeführt (Titel „Förderung von Lehrerexpertise“), das sich mit der Deutungskompetenz von Weiterbildnern sowohl in theoretischer wie praktischer Hinsicht auseinandersetzt. Mit Hilfe von computerunterstützten Videoanalysen soll ein Instrument entwickelt werden, das es Lehrenden ermöglicht, ihre Wahrnehmung und Interpretation des Unterrichtsgeschehens zu schärfen und hierauf fußend ihr Handlungsrepertoire zu erweitern (vgl. http://www.uni-tuebingen.de/eb-wb/abteilungeb-wb-forschung.htm).

Ich habe auch nicht zufällig eben schon von der Bedeutung von Emotionen oder von Authentizität für einen gelingenden Lehr-Lern-Prozess gesprochen. Hierbei handelt es sich um Themen, mit denen ich mich aktuell beschäftige. Bislang wird zwar einiges zu den Emotionen im Lernprozess gearbeitet (siehe vor allem Gieseke 2007 und Arnold/Holzapfel 2008), aber zu den Emotionen von Lehrenden in der Weiterbildung wissen wir noch nicht wirklich allzu viel. Angesichts der schon angesprochenen Burnout-Problematik bei Schullehrern und -lehrerinnen scheint hieran jedoch durchaus Bedarf zu bestehen.

Aber selbst bei der Behandlung und Erforschung von Emotionen lässt sich eine Spannung zwischen Ökonomie und Pädagogik ausmachen. Ich komme also auch an dieser Stelle zurück zum Leitthema dieses Vortrages. Ökonomisch ist das Emotionsmanagement von Lehrenden interpretierbar, wenn es von den Einrichtungen oder von den Betrieben vorgeschrieben wird und damit zu einer Kommerzialisierung der Gefühle führt. Das heißt die Gefühle des Lehrenden werden in den Dienst des Trägers oder des beauftragenden Unternehmens gestellt, werden Teil des Arbeitsprozesses, werden etwas, was man gegen Geld verkauft. Pädagogisch oder doch zumindest didaktisch interpretierbar ist der bewusst gesteuerte Umgang mit Emotionen dann, wenn er intentional auf die optimale Gestaltung der Lehr-Lern-Situation abzielt. Sei es, dass der Lehrende bestrebt ist, seine Emotionen auch in kritischen Situationen stabil zu halten oder dass er versucht, emotional sensibel auf die Lernenden einzugehen, dass er versucht, die Bedürfnisse der Lernenden zu erkennen und in seinem Handeln zu berücksichtigen.

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Bis hierhin habe ich, wenn man so will, die Professionalitätsdebatte zwischen Ökonomie und Pädagogik gewissermaßen von innen heraus betrachtet. Ich wollte zeigen, was derzeit innerhalb der Disziplin vorrangig getan wird, wenn von „Professionalisierung“ die Rede ist. Freilich kann man die Thematik auch in einen umfassenderen Kontext stellen und quasi von außen kommend nach der gesellschaftlichen Aufgabe der Weiterbildung fragen. Professionalität würde sich dann wohl darin beweisen, dass Weiterbildner strikt darauf aus sind, die Lernenden sozio-ökonomisch anpassungsfähig zu halten bzw. erst zu machen.

Die Frage, ob Erwachsenen- und Weiterbildung eher einer pädagogisch-aufklärerischen oder aber einer ökonomischen Logik folgen sollte, bewegt den wissenschaftlichen Diskurs schon so lange wie es die akademische Disziplin gibt. Erhard Meueler, einer der ehemals profiliertesten Professoren der Zunft, vertritt hierzu eine vergleichsweise rigide Auffassung: „Ich“, so Meueler (1993, S. 164) in seinem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Buch „Die Türen des Käfigs“, „möchte dem betrieblichen Qualifikationslernen den pädagogischen Ehrentitel ‚Bildung’ verweigern.“ Dennoch wendet sich Meueler natürlich nicht gegen die betriebliche Bildung. Er möchte diese eben nur nicht „Bildung“ nennen. Und Meueler weiß auch um die Notwendigkeit funktionaler Qualifikationen. Wie sonst sollten Menschen in modernen Gesellschaften bestehen können? Aber Bildung als Subjektwerdung setzt sich eben in aller Regel in ein kritisches Verhältnis zu dem betrieblich erforderlichen und mithin aufgezwungenen Lernen.

Meuelers Position ist in der wissenschaftlichen Erwachsenen- und Weiterbildung keineswegs konsensfähig (für eine Einordnung von Meuelers Position vgl. Radtke 2007). Dennoch kann sie in ihrer provozierenden Formulierung als fortwährender Fluchtpunkt einer kontinuierlich zu führenden Debatte dienen, in der das Verhältnis zwischen Pädagogik und Ökonomie in der Weiterbildung kritisch ins Auge gefasst wird. Unternehmen mögen dies – und ich füge ausdrücklich hinzu: völlig legitimer Weise – nicht tun wollen. Sie investieren bisweilen große Summen in die Fortbildung ihres Personals und haben – so betrachtet – ein Recht darauf, dass ihre Gelder dem Nutzen des Unternehmens dienen. Jedenfalls solange, wie die Mitarbeiter diese Maßnahmen nicht permanent in ihre Freizeit legen müssen.

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Als Trainer oder Weiterbildner mögen viele von Ihnen gleichwohl wesentlich ambitionierter an ihre Arbeit herangehen. Vielleicht meint Professionalität auch im betrieblichen Kontext nicht nur optimale, möglichst reibungsfreie Qualifikationsvermittlung, sondern ebenso, dass man als Weiterbildner den Teilnehmern zu ein bisschen mehr Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit verhilft. Auch in gewerblichen, vielfach von Nicht-Akademikern durchgeführten Maßnahmen – nehmen wir als Beispiel einen Schweißerlehrgang – kann dies zumindest ein unausgesprochenes Ziel des Trainers oder Ausbilders sein. Damit bleibt die Frage im Raum, wie es auch konzeptionell möglich wird, Ökonomie und Pädagogik in der Erwachsenen- und Weiterbildung gleichberechtigter zusammen zu denken. Wollen wir in einer heutzutage doch relativ unrealistisch anmutenden Humboldt-Nostalgie verharren, die Bildung als etwas gänzlich Zweckfreies bestimmen möchte, sodass wir das, was in unseren Betrieben geschieht, vielfach gar nicht mehr in den Blick bekommen können? Oder wollen wir alles nur noch ökonomisch-technisch betrachten, der reinen Verwertungslogik kapitalistisch durchrationalisierter Marktgesellschaften folgend, Bildung letztlich auf die Ausbildung von Fertigkeiten reduzieren?

Ich denke, ein vernünftiges Bildungsverständnis liegt irgendwo dazwischen. Und wenn wir es bestimmen, dann können wir vielleicht in der Tat – wie das von der EU derzeit angedacht wird – die konzeptionelle Differenz zwischen beruflich-betrieblicher Weiterbildung und allgemeiner Erwachsenenbildung irgendwann aufheben. Freilich muss hierzu beantwortet werden, inwiefern betriebliche Hierarchie- bzw. Verwaltungslogik auf der einen und Subjektbildung durch in der Lehre aktiv praktizierte dialogische Ich-Du-Beziehung auf der anderen Seite überhaupt zusammen gehen können, inwiefern also die kritisch-offene Welterschließung des Subjekts nicht auf eine technisch-funktionale Betriebserschließung des Mitarbeiters reduziert wird. Eine Antwort darauf habe ich auch nicht. Aber es bleibt eine Herausforderung für die Pädagogik in Wissenschaft wie Praxis dieses Spannungsverhältnis kontinuierlich auszutarieren. Auch das ist meines Erachtens ein Zeichen von Professionalität.

Ich wollte also mit meiner Eingangsthese von einer ökonomischen Schlagseite der derzeitigen akademischen Professionalitätsdiskussion in der Erwachsenen- und Weiterbildung das ökonomische Denken keineswegs in Misskredit ziehen. Die Qualität der Lehre muss primäres Anliegen der Diskussion bleiben. Insofern ist es auch völlig in Ordnung, wenn wir ökonomische Terminologien verwenden oder die Belange von Unternehmen in exponierter Weise berücksichtigen. Es lässt sich auch nicht wegdiskutieren, dass es insbesondere für freiberuflich tätige Weiterbildner ein absolutes Muss darstellt, kostenorientiert zu denken, sich und die eigene Dienstleistung zu vermarkten oder strategische Netzwerke zu knüpfen, um sich am Markt platzieren und behaupten zu können. Dieser Trend dürfte sich in der Zukunft sogar noch verstärken. Mir ging es jedoch darum, dafür zu plädieren, die Diskussion hierauf nicht zu verengen. Erwachsenen- und Weiterbildung ist eben nicht nur eine Funktion der Ökonomie. Sie ist mindestens in gleichem Maße Notwendigkeit eines demokratischen Gemeinwesens. Und last but not least ist sie unverzichtbare Unterstützung auf dem lebenslangen und nie endenden Weg der Lernenden zu sich selber.

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Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein Zitat aus Pascal Merciers „Nachtzug nach Lissabon“ vorlesen. Der Protagonist Prado reflektiert hier über eine Diskussion, die er an der Universität in Oxford miterleben durfte: „Pausenlos sagten sie, daß sie einander verstünden, einander antworteten. Doch es war nicht so. Niemand, kein einziger der Diskutanten, zeigte das geringste Anzeichen eines Sinneswandels angesichts der vorgebrachten Gründe. Und plötzlich, mit einem Erschrecken, das ich sogar im Leib spürte, wurde mir klar: So ist es immer. Einem andern etwas sagen: Wie kann man erwarten, daß es etwas bewirkt? Der Strom der Gedanken, Bilder und Gefühle, der jederzeit durch uns hindurchfließt, er hat eine solche Wucht, dieser reißende Strom, daß es ein Wunder wäre, wenn er nicht alle Worte, die jemand anderes zu uns sagt, einfach wegschwemmte und dem Vergessen übereignete, wenn sie nicht zufällig, ganz und gar zufällig, zu den eigenen Worten passen. Geht es mir anders?, dachte ich. Habe ich je einem anderen wirklich zugehört? Ihn mit seinen Worten in mich hineingelassen, so daß mein innerer Strom umgeleitet worden wäre?“ (Mercier 2004, S. 163).

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Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen heute – und natürlich vor allem in ihrer beruflichen Praxis – anders geht. Dass Sie andere mit deren Worten in sich hineinlassen, empfänglich für Neues bleiben und damit gestärkt durch das eine oder andere Wort, das Sie hier heute im Rahmen dieses Fach- und Praxistages auf- oder gar zu sich nehmen, in ihre berufliche Lebenswelt zurückkehren.


1) Auch wenn im Text manchmal nur die männliche Form Verwendung findet, so sind Frauen selbstverständlich immer mit eingeschlossen.


Literatur
Arnold, Rolf/Holzapfel, Günther (2008) (Hrsg): Emotionen und Lernen. Die vergessenen Gefühle in der (Erwachsenen-) Pädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren

Bernien, Maritta (1997): Anforderungen an eine qualitative und quantitative Darstellung der beruflichen Kompetenzentwicklung. In: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management Berlin (Hrsg.): Kompetenzentwicklung 97: Berufliche Weiterbildung in der Transformation – Fakten und Visionen. Münster, S. 17–83

Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

Gieseke, Wiltrud (2007): Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive. Bielefeld: Bertelsmann Verlag

Gnahs, Dieter (2007): Kompetenzen. Erwerb, Erfassung, Instrumente. Bielefeld: Bertelsmann Verlag

Koob, Dirk (2008): Stichwort “EQF, NQR und Erwachsenenbildung”, in: DIE-Zeitschrift für Erwachsenenbildung, Heft VI, S. 20–21

Koob, Dirk/Lattke Susanne (2008): „Ein weites Feld“: Weiterbildung als Beruf. In: Braun, Beate/Hengst, Janine/Petersohn, Ingmar: Existenzgründung in der Weiterbildung. Orientierung für den Brancheneinstieg. Bielefeld: Bertelsmann Verlag, S. 13–23

Kraft, Susanne/Seitter, Wolfgang (2008): Konstruktive Annäherungen an EQF und DQR. Das Modell „Grund- und Fortbildungszertifikat für Lehrende in der Weiterbildung“. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, Heft VI, S. 39–42

Mercier, Pascal (2004): Nachtzug nach Lissabon. München und Wien: Carl Hanser Verlag

Meueler, Erhard (1993): Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag

Plessner, Helmuth (1982): Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie. Stuttgart: Reclam Verlag

Radtke, Miriam (2007): Das Subjekt und die Subjektentwicklung in der Erwachsenenbildung. Diplomarbeit im Fachgebiet Erwachsenenbildung des Instituts für Berufs- und Weiterbildung am Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Duisburg/Essen (unveröffentlicht)

Reichert, Anke (2008): Trainerkompetenzen in der Wissensgesellschaft. Eine empirische Untersuchung zur Professionalisierung von Trainern im quartären Bildungssektor. Peter Lang Verlag: Frankfurt am Main

Siebert, Horst (2006): Methoden für die Bildungsarbeit. 2. Aufl. Bielefeld: Bertelsmann Verlag

WSF Wirtschafts- und Sozialforschung (2005): Erhebung zur beruflichen und sozialen Lage von Lehrenden in Weiterbildungseinrichtungen. Schlussbericht. Online: http://www.bmbf.de/pub/berufliche_und_soziale_lage_von_lehrenden_in_weiterbildungseinrichtungen.pdf (zuletzt aufgerufen am 12.08.2008)


Autor
Dirk Koob ist Privatdozent am Institut für Soziologie der Universität Göttingen. Die Veröffentlihcung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Schlagworte zu diesem Beitrag: Volkshochschule, Lebenslanges Lernen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 06.03.2010