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Arbeitsmarkt

Warum es bei der Weiterbildung hakt

In Deutschland nehmen zu wenige Beschäftigte Angebote zur Weiterbildung wahr. Ein Umbau der Arbeitslosenversicherung könnte helfen, mögliche Qualifikationslücken zu schließen.

Lebenslanges Lernen gilt für rund 70 Prozent der Arbeitnehmer inzwischen als ein wichtiges Element, um die eigene Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Dennoch ist die Beteiligung an Weiterbildung vergleichsweise gering, Unternehmen beklagen einen Mangel an qualifizierten Bewerbern. Eine Forscherin der Cornell University, New York analysiert die Gründe für diese Diskrepanz und Konzepte für mehr Fortbildung. Für die geringe Teilnahme an Weiterbildungen hat Lena Hipp drei Gründe ausgemacht:

1. Unklare Finanzierung. Zwar haben von besser qualifizierten Mitarbeitern alle etwas: Den Beschäftigten ermöglicht Fortbildung ein höheres Einkommen. Auch sinkt das Risiko, arbeitslos zu werden. Unternehmen profitieren vom besseren Wissen ihrer Belegschaft. Und der Gesellschaft insgesamt kommen die höhere Produktivität und die geringere Arbeitslosigkeit zugute. Schwierig ist es jedoch, den Nutzen von Weiterbildung anteilig zuzuordnen - und damit deren Finanzierung. Hipp nennt dies ein "kollektives Dilemma".

2. Mangelndes Wissen. Sowohl Beschäftigte als auch Betriebe können nur schwer beurteilen, welche Weiterbildungsangebote den größten Nutzen bringen. Lediglich die Hälfte der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hat einen guten Überblick über ihre Möglichkeiten zur Fortbildung. Auch das Wissen über den Qualifikationsbedarf der Beschäftigten ist in Deutschland gering.

3. Fehlerhafte Einschätzung. Sowohl Beschäftigte als auch Betriebe neigen dazu, die Notwendigkeit von Weiterbildung zu unterschätzen. Die Wissenschaftlerin erklärt dies mit Erkenntnissen aus sozialpsychologischen Experimenten. Danach überschätzen Menschen tendenziell ihre eigenen Fähigkeiten, wissen zu wenig über Handlungsmöglichkeiten außerhalb ihres unmittelbaren Umfelds und halten übermäßig am Status quo fest.

Damit in Zukunft mehr Weiterbildung stattfindet, schlägt Hipp den Umbau der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu einer Beschäftigungsversicherung vor. Wegen ihrer Finanzierung aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen sowie Steuermitteln eigne sie sich dazu, die Fortbildungskosten zwischen deren Nutznießern gerecht aufzuteilen. Konkret sieht die Autorin zwei Handlungsansätze:

Weiterentwicklung von Bildungsgutscheinen. 2003 wurden im Zuge der Hartz-Reformen Gutscheine für die Weiterbildung von Arbeitslosen eingeführt - doch bislang nur wenig genutzt. Wie sich dies verbessern ließe, zeigen Erfahrungen europäischer Nachbarstaaten.

So richten sich die Weiterbildungsgutscheine in Flandern an alle abhängig Beschäftigten. Die Gutscheine werden zum halben Preis ihres Einlösewerts verkauft; benachteiligten Gruppen werden ihre Aufwendungen ganz oder teilweise erstattet. Substitutions- und Mitnahmeeffekte sollen dadurch verhindert werden, dass die Kursinhalte nicht ausschließlich für den derzeitigen Arbeitsplatz relevant sein und die Fortbildungszeiten außerhalb der Arbeitszeit liegen müssen. In Österreich sind Bildungsgutscheine kostenlos für Mitglieder in einer regionalen Arbeiterkammer. Davon profitieren vor allem bildungsferne Personen, die nie zuvor an einer Weiterbildung teilgenommen haben.

Insgesamt zeigt sich: Weiterbildungsgutscheine werden am besten genutzt, wenn sie in großer Zahl an Personen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund gehen. So kann ein vielfältiges Angebot bereitgestellt werden.

Einführung von "Persönlichen Entwicklungskonten". Dieser Vorschlag stammt von Professor Günther Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Ein Teil der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung würde in ein individualisiertes Ansparprogramm umgewandelt und durch allgemeine Steuermittel ergänzt, um kritische Übergänge während des Arbeitslebens abzusichern. Die Mittel eines solchen Kontos könnten für die Kinderbetreuung oder als Startkapital für eine Existenzgründung verwendet werden - aber eben auch, um die Teilnahme an einem Abendkurs oder an einem Aufbaustudiengang zu finanzieren. Einzige Vorgabe: Das angesparte Guthaben muss für die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit eingesetzt werden.



Zusätzlich sollten Informationssysteme die betrieblichen, regionalen und individuellen Qualifikationserfordernisse erfassen und vorhersagen, rät Hipp. Auch hier ist ein Blick in die Nachbarländer hilfreich: In den Niederlanden tauschen Wissenschaftler, regionale Entscheidungsträger und Betriebe ihr Wissen zum Thema Weiterbildungsbedarf aus. Diese Methode ist mittlerweile auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt worden. In Frankreich und Belgien können Beschäftigte ihren Lernbedarf regelmäßig überprüfen lassen.


Quelle: Böckler Impuls 13/2009



Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Berufliche Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 08.09.2009