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Bachelor - neue Konkurrenz für Meister

Die Einführung des Bachelor-Abschlusses verändert die Hochschulen - und auch das Berufsbildungswesen. Die Aufstiegschancen von Beschäftigten mit mittlerer Qualifikation könnten sich verschlechtern.

Zwei Drittel der Studiengänge an deutschen Hochschulen sind inzwischen auf die neuen Abschlüsse Bachelor und Master umgestellt. Mit dem seit Beginn des Jahrzehnts laufenden Umbau sind Hoffnungen verbunden: auf mehr Studienanfänger, weniger Abbrecher, jüngere und mobilere Studierende. Die Einführung des Bachelor-Abschlusses dürfte sich jedoch auch außerhalb der Hochschulen auswirken. Experten vom Institut für Berufs- und Weiterbildung der Universität Duisburg-Essen weisen auf mögliche Folgen für die Berufsbildung hin: Die Absolventen der Bachelor-Studiengänge könnten auf dem Arbeitsmarkt die Spitze der beruflich Ausgebildeten verdrängen. Das würde zu einem Bedeutungsverlust des Fortbildungspfades von Nicht-Akademikern führen, warnen Rolf Dobischat, Marcel Fischell und Anna Rosendahl. Wer kein Abitur hat und darum keinen Zugang zum Studium bekommt, hat es dann noch schwerer, seine berufliche Entwicklung voranzutreiben.

Verdrängung wahrscheinlich.
Welchen Stellenwert die neuen Bachelor-Abschlüsse haben werden, entscheidet sich auf dem Arbeitsmarkt. "Eine Konkurrenzsituation zwischen Bachelor-Absolventen und Absolventen einer beruflichen Erstausbildung um Arbeitsplätze ist nicht anzunehmen", erklärt das Forschungsteam um Rolf Dobischat. Kaum ein Unternehmen stelle diese beiden Abschlüsse gleich. Andererseits schätzt nur jeder dritte Arbeitgeber den Bachelor wie die traditionellen akademischen Grade ein. Für das Gros der Personaler entspricht der Wert des Bachelors vielmehr dem einer fortgebildeten Fachkraft. Beide werden mit anspruchsvollen Aufgaben betraut, jedoch "eher in operativen als in strategischen Aufgabenfeldern eingesetzt". Die Bachelor könnten daher künftig die Absolventen einer Berufsausbildung mit anschließenden Fortbildungen verdrängen, erwarten die Wissenschaftler. Erste Indizien für vergleichbare Verdrängungsprozesse wurden bereits in den 90er-Jahren beobachtet. Fachhochschul-Absolventen der Ingenieurswissenschaften besetzten Stellen, die bis dahin Techniker innehatten. Der Druck führte auch zwischen den verschiedenen Fortbildungsberufen zu Verdrängungen. Es stellte sich heraus, "dass zunehmend Techniker in Positionen eingesetzt wurden, die ursprünglich für Meister vorgesehen waren".

Der Aufstieg durch Fortbildung
war bislang der klassische Karrierepfad in kleineren Unternehmen. Große Unternehmen suchen studierte Informatiker, Ingenieure oder Naturwissenschaftler. Kleine und mittelständische Unternehmen des technischen und gewerblichen Bereichs sahen stärker den Bedarf an beruflichen Fortbildungsabsolventen. Doch im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Angebot an Arbeitskräften verändert: Jedem Fortbildungsabsolventen stehen inzwischen mehr als zwei Akademiker gegenüber. Die Zahl der Studienabgänger erhöhte sich zwischen 2000 und 2006 um fast ein Drittel - dagegen sank die Fortbildungsquote der beruflich Gebildeten um zehn Prozent. Das liegt mit daran, dass das Fortbildungswesen sehr vielfältig und wenig transparent ist. "Der Staat hinterlässt in diesem Segment des Berufsbildungssystems eine Ordnungslücke, die durch die einzelnen Kammern nach Branchen und Regionen besetzt sind", so die Studie. Falls künftig die Bachelor den Fortbildungsabsolventen Konkurrenz machen, wird der Weg über eine Lehre plus spätere Fortbildungen weniger Erfolg versprechen. Und das heißt auch: Die ungleiche Chancenverteilung in der Schule wird sich noch länger auswirken.

Mangel an Durchlässigkeit.
Die Autoren der Studie diagnostizieren einen Mangel an Durchlässigkeit innerhalb des deutschen Bildungswesens: "Tatsächliche Übergänge vom berufsbildenden ins akademische Bildungssystem stellen wegen zahlreicher Zugangsbarrieren für beruflich Qualifizierte eine Seltenheit dar." Gerade Absolventen einer Berufsausbildung sollten Aufstiegs- und Karrierechancen über ein Studium eingeräumt werden, falls es zu einer Verdrängung der Fortbildungsabsolventen durch den Bachelor kommt. Aus Sicht der Wissenschaftler "besitzt die Öffnung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne formale Hochschulzugangsberechtigung eine hohe Relevanz".


Quelle: Böckler Impuls 12/2008


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 12.07.2008