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Bildungsfreistellungs- und Bildungsurlaubsgesetze setzen notwendige Bildungsimpulse

Presseerklärung anerkannter Weiterbildungseinrichtungen im Land Bremen

Bildungsfreistellungs- und Bildungsurlaubsgesetze setzen notwendige Bildungsimpulse. Mit der Forderung nach einer grundlegenden Reform des Bildungsurlaubsgesetzes hat sich die Arbeitsgemeinschaft Norddeutscher Industrie- und Handelskammern (IHK) Nord an die Öffentlichkeit gewandt.

Wir stimmen mit der IHK in der Zielsetzung überein, über Bildungsurlaubs- und Bildungsfreistellungsgesetze Bildungsimpulse zu setzen und die Weiterbildungspraxis so auszurichten, dass die gesetzlichen Impulse zeitaktuell greifen können. Wenig hilfreich ist es dabei, ein Zerrbild gegenwärtiger Bildungsurlaubspraxis zum Ausgangspunkt neuer Überlegungen zu nehmen. Weder gibt es eine Ausrichtung der gesetzlich anerkannten Weiterbildungsangebote auf Freizeit- und Sportcharakter, noch versagen die qualitätspolitischen Kontrollinstrumentarien in den Einrichtungen und im staatlichen Anerkennungsverfahren, dass durch eine missbräuchliche Praxis Bildungszielsetzungen konterkariert würden.

Mit Unternehmensvertretern und der Handelskammer Bremen sitzen wir gemeinsam im Bremer Landesausschuss für Weiterbildung, der zusammen mit dem Förderungsausschuss bereits an den Fragestellungen zur Reform des Bildungsurlaubsgesetzes arbeitet, die ebenso von Einrichtungs- wie von Unternehmensseite aufgeworfen werden. In dieser Ausschussarbeit ist der Ort zu finden, an dem die konkreten Veränderungsvorschläge der IHK Nord diskutiert werden.

Grundsätzlich stellen wir fest:
  1. Die IHK greift zu kurz, wenn sie den im Rahmen von Bildungsfreistellungsgesetzen zu fördernden Bildungsbedarf auf berufsbezogene Fortbildungen konzentriert sehen möchte. Schon im unmittelbaren Eigennutz sollten Unternehmen daran interessiert sein, dass Arbeitnehmer/innen neben ihren fachlichen Qualifikationen über Gesundheits- und Ernährungskompetenzen verfügen und diese weiterentwickeln, um präventiv handeln zu können und selbst zur Kostendämpfung in den Gesundheits- und Sozialsystemen beitragen können. Die unternehmensinitiative „familienfreundlicher Betrieb“ hat bereits darauf reagiert, dass Kompetenzen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Erziehungs- und Care-Kompetenzen) gefragt sind. Ebenso benötigen Arbeitnehmer/innen Sozial- und Kommunikations- und Konfliktmanagementkompetenzen, um Organisationswandel, veränderten Hierarchien und Arbeitsstrukturen in steten Umbrüchen zu bewältigen und sich auf ständig neue Situationen einstellen zu können. Interkulturelle Kompetenzen sind gefragt, um sich in interkulturell zusammengesetzten Belegschaften und in der internationalen Ausrichtung von Unternehmen bewegen zu können. Dies alles leistet ein an den normativen Vorgaben des Weiterbildungsgesetzes orientiertes Bildungsurlaubsangebot. Auf seine Stärkung sind alle Reformbestrebungen auszurichten.

  2. Die Bildung Erwachsener setzt die Eigenmotivation der Teilnehmenden voraus, und Bildungsprozesse selbst können erst dann nachhaltig wirksam werden, wenn sie die Interessen der Teilnehmenden einbeziehen und auf Selbsttätigkeit zielen. Die umgekehrte Wirkung haben erstickte Bildungsinteressen, wenn Bildung verweigert wird. In diesem Sachverhalt liegt ein grundlegendes Problem, wenn, wie durch die IHK-Nord gefordert, durchgesetzt würde, dass Arbeitgeber am vorgelegten Inhalt einer Maßnahme über Zulassung oder Verweigerung der Bildungsfreistellung entscheiden. Diese Sachentscheidungen müssen im öffentlichen Bildungssystem mit seinen gesetzlich fixierten Anerkennungsverfahren verankert bleiben. Arbeitnehmer/innen bestimmen ihre Bildungsziele selber, es liegt in ihrem eigenen Interesse, ihre Beschäftigungsfähigkeit langfristig zu sichern und darüber hinaus mit ihrer eigenen Bildungsbeteiligung ein günstiges Bildungsklima in ihren Familien zu fördern. Unternehmen können schon darum keine objektive Sachinstanz zur Entscheidung über diese Grundsatzfrage sein. Im Übrigen würden inhaltsbezogene Ablehnungen eines Antrags auf Wahrnehmung des allgemeinen Bildungsurlaubsanspruchs eine Fülle zivilrechtlicher Klagen nach sich ziehen (können) und bildungspolitische Fragestellungen auf die juristische Ebene verschieben.

  3. Bildungsurlaubsprogramme werden derzeit aus vier Quellen finanziert: Zum einen finanzieren die Unternehmen der Teilnehmenden über die Bildungsfreistellung, zum zweiten finanziert das Land Bremen über die öffentliche Förderung nach dem Weiterbildungsgesetz, drittens erbringen die Träger der anbietenden Weiterbildungseinrichtungen in erheblichem Umfang Eigenmittel für die Durchführung auf, schließlich entrichten viertens die Arbeitnehmer/innen Teilnahmebeiträge. Während die öffentlichen Finanzierungsanteile stagnieren oder rückläufig sind, ist das Finanzierungsvolumen durch Träger und Teilnehmende kontinuierlich gewachsen. Im Zuge der allgemeinen Lohnentwicklung sind zudem die (kalkulatorischen) Kosten der Unternehmen gestiegen. Alle Studien zur Finanzierung von Weiterbildung bzw. lebenslangem Lernen verweisen darauf, dass in Deutschland alle Akteure, d.h. öffentliche Hand, Unternehmen und Individuen, im Vergleich mit anderen Gesellschaften in der OECD und der Europäischen Union unterdurchschnittlich in Weiterbildung investieren. Insofern ist unstrittig, dass Weiterbildung nicht allein Aufgabe der Unternehmen, sondern auch von Arbeitnehmern und Staat ist. Eine bloße Verlagerung von Finanzierungslasten innerhalb dieser Akteursgruppen löst das Problem der nicht ausreichenden Weiterbildungsinvestitionen nicht, sondern baut neue Teilnahmehürden auf mit dem nicht intendierten Effekt sinkender Teilnahmequoten. Vielmehr ist zu klären, wie die Akteure dazu motiviert werden können, ihren Beitrag zu erhöhen. Die Unternehmen sind gefordert, ihre Arbeitsstrukturen so weiter zu entwickeln, dass intensive Lernphasen über Bildungsfreistellung möglich werden. Das Land muss prüfen, welche Möglichkeiten zur Erhöhung der öffentlichen Fördermittel gegeben sind; dabei ist zu berücksichtigen, welche besonderen Zielgruppen einer besonderen Förderung bedürfen. In gleicher Weise sind die Träger gefordert, den Einsatz von Eigenmitteln so zu gestalten, dass sich keine soziale Auslese bei der Bildungsbeteiligung ergibt. Da inzwischen private Betreuungsleistungen von Kindern wie von pflegebedürftigen Angehörigen sowohl weit verbreitet wie auch als gesellschaftlich notwendig anerkannt sind, ist zu prüfen, wie betreuende Personen für Bildung freigestellt werden können, indem z.B. Fördergelder für Kinderbetreuung oder Hilfen zur Pflegevertretung zur Verfügung gestellt werden. Die Arbeiternehmer/innen sind gefragt, inwiefern sie höhere Eigenbeiträge leisten können.

Bremen, 6. Mai 2008

Willi Derbogen
(Arbeit und Leben Bremen)
Caren Emmenecker
(Arbeit und Leben Bremerhaven)
Helmut Helken
(Bildungswerk des Landessportbundes Bremen)
Hans-Gerhard Klatt
(Evangelisches Bildungswerk Bremen)
Dr. Beate Porombka
(Volkshochschule Bremerhaven)
Dr. Udo Witthaus
(Bremer Volkshochschule)
Christoph Simon
(Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer)


Quelle: ver.di Bremen

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.05.2008