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IT-Arbeiter

Nur für kurzen Einsatz programmiert

Wer in der IT-Branche arbeitet, muss mit einem frühen Abschied rechnen. Die Belastungen sind hoch, der technische Fortschritt ist rasant. Die Unternehmen tun kaum etwas, um ihren Beschäftigten eine längere Perspektive zu ermöglichen.

Irgendwann verschwinden die Älteren einfach - wohin, wissen die Kollegen nicht. Nur wenige Informatiker und Software-Entwickler arbeiten über ihren 50. Geburtstag hinaus in der IT-Branche. Warum gelingt so wenigen das Älterwerden im Job? Wolfgang Hien, Leiter des Forschungsbüros für Arbeit, Gesundheit und Biografie in Bremen, hat dazu eine qualitative Studie vorlegt. Hien führte ausführliche Interviews mit meist über 50 Jahre alten Beschäftigten. Manche davon waren bis zu 35 Jahre in der Branche tätig. Die erste Untersuchung im deutschsprachigen Raum zeigt: Die Arbeitskultur der Branche macht das Altern im Beruf schwer. Die Belastungen durch den rapiden technischen Fortschritt sowie den ständigen Zeit- und Erfolgsdruck sind groß - und die Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter mit den Lasten allein.

Branche im Jugendkult. In der IT-Branche gibt es eine außergewöhnlich hohe Fluktuation und formal viele Freiberufler. Trotz offener Stellen sind um die 30.000 Programmierer arbeitslos - je älter die Informatiker werden, umso höher ist die Arbeitslosenquote. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt laut Fachverband bei 35. Einer Umfrage des Branchenmagazins c't zufolge ist die Hälfte von ihnen unter 35 und nur jeder Zwanzigste älter als 44. "Nach wie vor kann in der IT-Branche von einem Jugendkult gesprochen werden", schreibt der Arbeitswissenschaftler Hien. Die starken Konjunkturschwankungen geben den Arbeitgebern immer wieder "Gelegenheiten, insbesondere älteren Mitarbeitern zu kündigen oder ihnen die Eigenkündigung nahe zu legen", so Hien.

Extreme Belastungen. Die älteren IT-Arbeiter berichten von Verschleiß und ernsten Erkrankungen. Ein wichtiger Grund ist der ständige Zeitdruck: Bei Ausschreibungen werde die benötigte Dauer regelmäßig bewusst zu knapp kalkuliert, erfuhr Hien mehrfach. Der Termindruck laste dann auf dem Projektteam: "Das Projekt soll immer gestern fertig werden." Die hohen psychischen Belastungen verstärken sich, weil es Feedback nur dann gebe, wenn etwas nicht klappt. So komme es oft zu einem Burnout oder zu psychosomatischen Spätschäden.

Beim Blick auf Krankenkassen-Statistiken sieht es dennoch so aus, als ob IT-Experten nie krank werden. In der Branche werde eine Kultur der Härte inszeniert, schreibt der Arbeitswissenschaftler. Hohe Verausgabung, Einzelkämpfertum, Prestigebewusstsein und das Verschweigen von Belastungen seien üblich. "Die starke Arbeitsorientierung und das Durchhalte-Syndrom bis zum Zusammenbruch sind untrügliche Kennzeichen eines kulturell tradierten Männlichkeitsmusters", so Hien. Fast alle Befragten hoben die große Bedeutung von Selbstdisziplin hervor. Die Beschäftigten organisieren ihren Lebensalltag sehr methodisch. Die Ungezwungenheit der New Economy ist längst passé. Zudem kultiviert die vermeintlich fortschrittliche IT-Branche eine sehr traditionelle Rollenverteilung. Vier von fünf Beschäftigten sind männlich, und die Männer arbeiten üblicherweise als Familienernährer in Vollzeit und mit Überstunden. Wer das nicht macht, erhalte kaum berufliche Anerkennung.


Unsicherheit und keine Weiterbildung.

"Ich sterbe mit dem Programm", sagt ein älterer Programmierer. Wie er fürchten alle Befragten, unter die Räder des rasanten Fortschritts zu kommen. Aufgrund der Hardware-Innovationen verbessert sich auch die Software ständig. Die interviewten Experten wollen auf dem Laufenden bleiben. Sie lernen neue Betriebssysteme, neue Standards, neue Programmiersprachen. Doch das ist sehr aufwändig, weil das Neue häufig nicht auf dem Alten aufbaut - und weil es an Weiterbildungsangeboten mangelt. In großen Unternehmen landen ältere Software-Entwickler regelmäßig in Nischen, betreuen alte Produkte und verlieren so den Anschluss an neue Entwicklungen. Kleine Unternehmen haben meist kurze Produktzyklen und hohen Kostendruck, daher verzichten sie auf Weiterbildung und lassen junge Beschäftigte ran.

Der Spaß, als Software-Entwickler zu arbeiten, sinkt spürbar. In den vergangenen Jahren sind die Gehälter gefallen. Die Vorschriften werden strikter, der Grad an Selbstorganisation nimmt ab. Teams werden immer wieder auseinander gerissen. "Die viel besungenen Freiheitsgrade der IT-Arbeit beginnen einer Normalität zu weichen, innerhalb derer Momente altbekannter kapitalistischer Arbeitsorganisation erkennbar werden", so Hien.

Viele Software-Entwickler bedauern, nur noch für Teilabschnitte zuständig zu sein; sie werden sich ihrer Austauschbarkeit bewusst. Teamarbeit hat zwar weiterhin eine hohe Bedeutung. Jedoch bleibt den Teams nur eine verminderte Entscheidungsfreiheit. "Wir führen den Taylorismus gerade brutal ein", sagt ein älterer IT-Arbeiter.


Quelle: Böckler Impuls 04/2008



Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009