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SPD will längere Lebensarbeitszeiten und die Rente mit 67 durch verstärkte Anstrengungen bei der beruflichen Weiterbildung unterstützen

Wir dokumentieren hier den Abschnitt zur beruflichen Weiterbildung aus Arbeitspapier der SPD-Arbeitsgruppe:


Bildung und Qualifizierung


Der veränderte demographische Aufbau unserer Gesellschaft, die veränderten Erwerbsverläufe und die steigenden Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft erfordern eine neue Architektur der Weiterbildung. Dies betrifft die schulische Ausbildung, ebenso wie die betriebliche und akademische Erstausbildung, Phasen der Erwerbsunterbrechung und die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Älteren. Alle Anstrengungen müssen darauf ausgerichtet sein, dass die Voraussetzungen für einen möglichst langen und un-gebrochen Verbleib im Erwerbsleben geschaffen werden.

Wir wollen die Arbeitswelt so gestalten, dass die Menschen länger arbeiten können. Die Beschäftigungsfähigkeit muss bereits sehr früh gefördert und weiterentwickelt werden. Es geht immer um Qualifizierung und Bildung, besser noch: Um Qualifizierung als Teil eines kontinuierlichen Bildungsprozesses, unabhängig vom Alter.

Es muss eine „Weiterbildungskultur“ entstehen, die von den Beschäftigten auch in Anspruch genommen und aktiv genutzt wird und die eine Struktur aufbaut, in der die Verantwortung zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit nicht alleine dem Individuum zugeschrieben wird.

Der wachsende Bedarf nach lebenslanger Qualifizierung wird neben der demografischen Entwicklung durch verschiedene Umbrüche im Erwerbsleben hervorgerufen:
  • aus den Erfordernissen, die sich aus dem Umbau des beruflichen Leistungsprofils ergeben;
  • aus den Erfordernissen, die ggf. aus Arbeitsplatz- und Betriebswechsel oder (zeitweiliger) Arbeitslosigkeit resultieren (ggf. mit Konsequenzen für die Einkommens-Situation, die Zeitstruktur des Alltags, u. s. w.; hier sind v.a. Frauen betroffen);
  • aus den Erfordernissen, die sich ggf. aus der Kombination von Beschäftigung und all-mählichem Ausstieg ergeben.

In den letzten Jahren sind zahlreiche tarifvertragliche Regelungen vereinbart worden, die das Thema betriebliche Weiterbildung in den Betrieben zu einem dauernden Beratungs- und Arbeitsschwerpunkt machen. Allerdings sind dies nur erste Schritte, eine wirklich umfassende neue Weiterbildungskultur muss erst noch erreicht werden. Um ein tragfähiges Gerüst für eine neue Weiterbildungsarchitektur zu errichten, muss die Verantwortungsbereitschaft bei Unternehmen, Beschäftigten, den Trägern des SGB II und SGB III und der öffentlichen Hand aktiviert und eine neue Form der Zusammenarbeit entwickelt werden. Folgende Maßnahmen könnten Eckpfeiler einer solchen Weiterbildungsarchitektur sein:


1. Verantwortung der Unternehmen

Betriebliche Weiterbildung, durch die die Anpassung an neue berufliche Anforderungen gelingen soll, dient dem Erhalt des Arbeitsplatzes. Diese notwendigen Um- und Weiterqualifizierungen liegen in der Verantwortung der Unternehmen, da diese von einer gut qualifizierten Belegschaft profitieren. Deshalb ist es notwendig, dass die Betriebe sich an der Aufstiegsqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker als bislang beteiligen. Dies muss nicht unbedingt in erster Linie in finanzieller Form geschehen, wichtiger ist es, dass überhaupt Möglichkeiten zur Aufstiegsqualifizierung angeboten und diese auch genutzt werden können.

Trotz vielversprechender Ansätze ist die unternehmerische Beteiligung an Weiterbildung immer noch unzureichend. Gerade Ältere und Geringqualifizierte sind von betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen überdurchschnittlich ausgeschlossen:

Nur
  • 6% aller Betriebe in Westdeutschland und
  • 7% aller Betriebe in Ostdeutschland

bieten betriebliche Weiterbildung für über 55-Jährige an.


Insbesondere in kleinen Betrieben ist Weiterbildung für Ältere in aller Regel ein Fremdwort. Hier ist Unterstützung für KMUs notwendig, die z. B. durch Anlaufstellen wie der „Agentur Q“ geleistet werden kann:

Die Agentur Q – Agentur zur Förderung der beruflichen Weiterbildung in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V.

Bei der „Agentur Q“ handelt es sich um eine gemeinschaftliche Einrichtung des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie und der IG METALL in Baden-Württemberg, die zur Begleitung und Umsetzung des Tarifvertrages zur Förderung der Qualifizierung eingerichtet worden ist. Ausgangspunkt ist die Notwendigkeit, sowohl bei Betrieben als auch bei Beschäftigten das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer ständigen beruflichen Qualifizierung zu stärken. Hierauf aufbauend wird nicht nur der Wandel der Qualifikationsanforderungen beobachtet und über das Angebot an Weiterbildungsmaßnahmen informiert, sondern es werden auch geeignete Maßnahmen bei Qualifikationsengpässen und Modelle zur betrieblichen Weiterqualifizierung entwickelt. Zusätzlich zu der Beratung von Unternehmen und Betriebsräten über das Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen hat sie die Funktion, in Konfliktfällen schlichtend zu wirken.


a) Alternsgerechter betrieblicher Bildungsplan

Die mittlerweile in vielen Betrieben – auch gestützt auf entsprechende Tarifverträge -stattfindenden Mitarbeiter–Vorgesetzten–Gespräche (MVGs) zur jährlichen Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs ergeben erst dann eine Perspektive, wenn sie sich auf einen alternsgerechten betrieblichen Bildungsplan beziehen. Es ist daher anzustreben, dass ein solcher Bildungsplan verpflichtend wird. Es ist zu prüfen, ob durch eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes erweiterte Berichtspflichten und mehr Initiativrechte ermöglicht werden können. Bereits unter Rot-Grün wurde § 96 des Betriebsverfassungsgesetzes mit Initiativrechten des Betriebsrates bei Fragen der Weiterbildung ausgestattet. Diese müssen noch weitaus stärker genutzt und von den Belegschaften angenommen werden. Ebenso ist ein Rechtsanspruch auf ein regelmäßiges Personalentwicklungsgespräch für alle Beschäftigten zu schaffen, wie auch Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet werden sollten, eine Altersstrukturanalyse vorzulegen.

b) Qualifizierung der Vorgesetzten

Da die Betriebe und damit auch die Vorgesetzten in der Vergangenheit weitgehend entwöhnt waren, mit älteren Beschäftigten zu arbeiten (und sich auf eine eher altershomogene Belegschaft beziehen konnten), besteht ein beträchtlicher Weiterbildungsbedarf für Vorgesetzte sowie für alle Personalverantwortlichen, zu den Themen altersheterogene Belegschaften, alternsgerechte Weiterbildung sowie altersspezifische und zielgruppenspezifische Lerninhalte.

c) Lernzeitkonten

Eine Forcierung der Weiterbildungsaktivitäten hat Auswirkungen auf die betrieblichen und individuellen Zeitstrukturen. Vermehrte Weiterbildung braucht mehr Zeit. Da bereits aktuell Zeitmangel die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung be- oder gar verhindert, gewinnen Fragen der Arbeits- und Lernzeitorganisation zukünftig an Bedeutung. Mittlerweile hat eine Vielzahl von Betrieben mit Betriebsrat Arbeitszeitkonten eingeführt, die sich bei entsprechenden Vereinbarungen zwischen den Tarif- bzw. Betriebsparteien auch für die berufliche und betriebliche Weiterbildung nutzen ließen. Da die Einrichtung eines Kontos allein nicht automatisch auch ein ausreichendes Zeitguthaben entstehen lässt, sind weitere Möglichkeiten zu entwickeln, um die benötigten Lernzeiten für lebenslanges Lernen bereitzustellen. Für einen Grundstock bieten sich die Ansprüche aus Bildungsurlaubsgesetzen, bestehende tarifliche und betriebliche sowie bundesweit gleiche Freistellungsansprüche und weitere, auf Zeitkonten angesparte Zeitguthaben, an, die durch tarifliche und betriebliche Vereinbarungen aufgestockt werden können. Um Investitionen in Humankapital zu fördern, ist flankierend eine öffentliche Unterstützung sinnvoll, z. B. durch Steuererleichterungen oder andere Regelungen. Unabdingbar ist eine Insolvenzsicherung von Lernzeitkonten.

d) Freistellungszeiten für Weiterbildung

Um das Ziel einer längeren Lebensarbeitszeit zu erreichen, braucht es über die Erwerbsbiographie hinweg regelmäßige Weiterbildungsmöglichkeiten. Dafür müssen Freistellungszeiten für Weiterbildung rechtlich abgesichert und finanziert werden. In Österreich gibt es seit 1998 eine gesetzliche Regelung zur so genannten Bildungskarenz, bei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme freigestellt wird. Die Bildungskarenz kann für das Nachholen von Schul- oder Studienabschlüssen, für Fremdsprachenschulungen oder Höherqualifizierungen in Anspruch genommen werden. Sie kann zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten für mindestens 3 Monate bis maximal 12 Monate vereinbart werden. Bei positivem Bescheid der Arbeitsmarktservices über Zulassung des gewählten Kurses wird der Bildungsurlaub in Form des Weiterbildungsgeldes aus dem Fonds der Arbeitslosenversicherung bezahlt. Diese Möglichkeit, sich längerfristig bei Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses weiterbilden zu können, sollte nach österreichischem Vorbild auch in Deutschland ermöglicht werden.

e) Berücksichtigung des individuellen Zeitbudgests

Bei den betrieblichen und überbetrieblichen Qualifizierungsangeboten müssen die individuellen Lebensumstände der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Alle Angebote müssen für Männer und Frauen gleichermaßen zugänglich sein: dies gilt für Teilzeitbeschäftigte ebenso wie für Beschäftigte mit familiären Pflichten, wie Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Erforderlich sind nicht nur familienfreundliche Arbeits- sondern auch Weiterbildungszeiten.


2. Verantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Hauptverantwortung für betriebliche Weiterbildung in erster Linie bei den Unternehmen liegt. In zweiter Linie muss aber auch die Verantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herausgestellt werden:

So zeigen die ersten Evaluationsergebnisse des Tarifvertrages in der baden-württembergischen Metallbranche, dass die Bereitschaft, Weiterbildungsangebote anzunehmen, stärker gefördert werden muss. Offensichtlich sieht ein Teil der Beschäftigten ein Weiterbildungsangebot nicht als Chance, sondern als Leistungsmesser, der zu einer negativen Bewertung und zu beruflichen Nachteilen führen könnte. Hier muss eine neue Kultur des Vertrauens zwischen Unternehmer und Beschäftigten entstehen.

Die Beschäftigten müssen dafür gewonnen werden, ihre eigene Erwerbsbiographie auch im Hinblick auf Qualifizierungsnotwendigkeiten zu planen. Hier kommt dem Betriebsrat, aber auch der gesellschaftlichen Debatte eine Schlüsselrolle zu. Ohne engagierte Mitarbeit der Betroffenen kann betriebliche oder öffentlich geförderte Qualifizierung nicht funktionieren. Deshalb sind Eigeninitiative und Selbstverantwortung gefordert. Es ist auch zumutbar, dass ein Teil der Finanzierung (z.B. Vorleistungen in Form von Zeitkonten etc.) von den Beschäftigten mitgetragen wird. Eine Individualisierung und Privatisierung der betrieblichen Weiterbildung darf damit aber nicht verbunden sein. Aufstiegsqualifizierungsmaßnahmen hingegen beinhalten eine hohe persönliche Komponente und liegen im individuellen Interesse der Arbeitnehmer. Diese sollten auch bereit sein, zeitliche und finanzielle Ressourcen in ihre Aufstiegsqualifizierungsmaßnahmen zu investieren.


3. Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit (SGB III) und der Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

Die durch Arbeitsmarktpolitik geförderte berufliche Weiterbildung ist seit Jahren rückläu-fig. Der Rückgang ist nicht allein auf sinkende Teilnehmerzahlen im relativ kleinen Segment der im Rahmen des SGB III geförderten Weiterbildung zurückzuführen. Auch bei der betrieblichen Weiterbildung sind die Teilnehmerzahlen gesunken. Betroffen sind v.a. die neuen Länder und hier insbesondere erwerbstätige Männer. Auch der Durch-schnittswert der für berufliche Weiterbildung aufgewendeten Zeit sinkt deutlich. Dass eine Kombination aus verstärkter Sparpolitik und des gestiegenen Kostendrucks in den Betrieben zu weniger förderlichen Rahmenbedingungen geführt hat, scheint plausibel.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer an geförderter Weiterbildung im Jahresdurchschnitt:
2002: 340.000
2003: 260.000
2004: 184.000
2005: 114.000
2006: 119.000


Zu dem absoluten Rückgang bei der Förderung beruflicher Weiterbildung kommt hinzu, dass der Anteil kurzfristiger Weiterbildungsmaßnahmen ohne Berufsabschluss in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Nur knapp 7% der im Jahr 2006 geförderten Weiterbildungsmaßnahmen hatten laut Berufsbildungsbericht 2007 der Bundesregierung einen Berufsabschluss zum Ziel. Dabei hat das IAB festgestellt, dass sich die Beschäftigungswahrscheinlichkeit bei Maßnahmen mit Berufsabschluss mittelfristig deutlich erhöht, wohingegen kürzere Maßnahmen eine geringere Beschäftigungswirkung haben. Die BA kann nicht allein für eine umfassende Weiterbildungspolitik verantwortlich sein. Aber sie muss ihren Beitrag leisten, insbesondere für die Arbeitssuchenden und Geringqualifizierten.


a) Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit

Die Zunahme der Weiterbildungsaktivitäten der Bundesagentur für Arbeit seit 2006 muss der Beginn einer längst überfälligen Trendwende sein. So sind bis August 2007 rund 210.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in eine geförderte Weiterbildung eingetreten. Es ist zu begrüßen, dass die BA Programme zum Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen sowie zur Weiterbildungsförderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ab 45 Jahren in KMU wieder verstärkt auflegt. Hierbei sollte ein besonderer Schwerpunkt auf die Qualifizierungskomponente vor den Eingliederungszuschüssen gelegt werden. Außerdem sollte die BA mehr für diese Programme werben, mit dem Ziel, dass sie sowohl von den Betroffenen als auch von den Betrieben mehr angenommen und abgerufen werden. Die BA soll die ihr zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im Eingliederungstitel und für Weiterbildungsmaßnahmen für den Berechtigtenkreis des SGB II zweckbestimmt für Qualifizierung einsetzen und ganz ausschöpfen. Analog zum Instrument der Quali-Kombi für junge Leute sollte eine Alters-Quali-Kombi implementiert werden. Finanzielle Spielräume der BA sollten nicht primär für eine Beitragssatzsenkung, sondern für einen weiteren Ausbau der beruflichen Weiterbildung genutzt werden.

b) „Zweite Chance“ ermöglichen

Als Sofortmaßnahme „Zweite Chance für junge Erwachsene bis 35 Jahre“ ist ein steuerfinanziertes Sonderprogramm zur Nachholung von Schul- oder Berufsabschlüssen sinnvoll. Das Programm ist für junge Erwachsene vorgesehen, die älter als 25 Jahre sind und nicht von der Eingliederungsförderung junger Arbeitsloser (U25-Programme) erfasst werden. Die vorhandene Förderung im SGB III-Rechtskreis wird damit insbesondere mit Blick auf ALG II- und Nichtleistungsempfänger/innen durch ein steuerfinanziertes Programm ausgeweitet, an dem sich Bund und Länder gleichermaßen beteiligen. Als Finanzvolumen werden im ersten Jahr 100 Mio. Euro vorgeschlagen, die dann in den fünf Folgejahren bis auf 500 Mio./Jahr linear aufwachsen, wenn die Nachfrage nach Teilnahmeplätzen dies erfordert. Das Programm deckt die Maßnahmekosten ab und bei Bedarf den Lebensunterhalt, sofern kein Anspruch nach SGB II oder SGB III besteht. ESF-Mittel können zur Kofinanzierung genutzt werden.

c) Weiterbildung von NichtleistungsempfängerInnen sichern

Arbeitslose, die weder einen Anspruch Versicherungsleistungen noch auf Leistungen nach dem SGB II besitzen, gehen bei der Weiterbildungsförderung schnell leer aus. Zuständig für ihre Arbeitsvermittlung ist rechtlich die BA (SGB III) Faktisch gehen Nichtleistungsempfänger/innen – häufig Frauen – bei Weiterbildungsmaßnahmen in der Regel dann leer aus, sofern sie nicht Berufsrückkehrerinnen sind. Die Bemühungen der BA zu einer stärkeren Beteiligung von Nichtleistungsempfänger/innen an Qualifizierungsmaßnahmen müssen verstärkt werden. Die Bundesregierung sollte einen Pflichtanteil von Nichtleistungsempfänger/innen an Maßnahmen, die zum Berufsabschluss führen, vorschreiben und im Gegenzug eine Steuerfinanzierung für diesen Teilnehmerkreis sicherstellen.


4. Verantwortung der öffentlichen Hand

a) Weiterbildungsberatung / Qualitätssicherung


Die Bundesregierung sollte Programme zur Stärkung der Weiterbildungsberatung und der Qualitätssicherung entwickeln und die Berufs- und Weiterbildungsberatung vernetzen. Dabei kommt der Bundesagentur für Arbeit eine besondere Rolle zu. Hier sollten Ressourcen für eine individuelle Beratung eingerichtet werden. Nach dem Vorbild der Qualifizierungsagentur Agentur Q sind Beratungsagenturen zu fördern, die sich v.a. auf Weiterbildungsberatung von kleinen und mittleren Unternehmen konzentrieren und dem drohenden Fachkräftemangel gerade dort entgegenwirken. Ein Vorbild findet diese Form der Qualifizierungsberatung in der Umsetzung des WeGebAU-Programms in diesem Jahr. Hier ist beabsichtigt, rund 200 betriebliche Qualifizierungsberater/innen („Kümmerer“) für rd. 80 Wirtschaftsräume einzusetzen.

Neben der Beratung wird die Frage einer Zertifizierung von Weiterbildungsmaßnahmen zunehmend wichtiger. Die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen ohne Zertifizierung führt dazu, dass das Gelernte im beruflichen Alltag oft nicht anerkannt wird. Allgemein gültige Qualitätskriterien bei der Beratung sind daher unerlässlich. Den Anbietern stehen bereits Verfahren zur Verfügung, die sich in anderen Bereichen (Produktion, Dienstleistung) bewährt haben, wie z.B. Zertifizierung nach DIN-Norm ISO 9000 ff oder das EFQM-Modell. Aber auch Wettbewerbe oder Qualitäts- bzw. Gütesiegel sind Verfahren zur Qualitätssicherung, auf die Anbieter von Bildungsmaßnahmen zurückgreifen können. Ein Anspruch auf Zertifizierung oder die Schaffung eines nationalen Referenzrahmens analog zum britischen „National Vocational Qualification-System“* ist überlegenswert.

Die Tarifpartner sollten im Rahmen der Forschungs- und Transferprogramme des Bundes bei der Implementierung und der Evaluation ihrer Qualifizierungs-Tarifverträge unterstützt werden. Es sind spezielle Förderprogramme zur Schulung von Betriebsräten für Fragen der Weiterbildung und der Personalentwicklung mit Unterstützung des Bundes aufzulegen.

b) Nationaler Weiterbildungsfonds

Wir müssen die Schaffung eines Nationalen Weiterbildungsfonds prüfen, der die Tarifpolitik dabei unterstützt, Weiterbildungsmaßnahmen stärker zu berücksichtigen. Aus dem Fonds können tarifliche Vereinbarungen – bei Vorliegen klarer Kriterien – mitfinanziert werden. Eine Fondslösung verhindert, dass Betriebe, die in Fortbildungen investieren, benachteiligt sind.

Um die Beschäftigung zu verstetigen und Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen, wird vorgeschlagen, die Weiterbildungsfonds insbesondere auch für die Zeitarbeitsbranche zu nutzen. So könnte es aussehen: Die Tarifparteien entwickeln für die Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche ein tarifvertraglich abgesichertes Qualifizierungskonzept, das mit einer Zusatzabgabe der Arbeitgeber in Höhe von 1% der Bruttolohnsumme über einen Branchenfonds finanziert wird. Die Organisation und Steuerung des Weiterbildungsfonds erfolgt durch eine von den Tarifparteien gemeinsam eingerichtete Stelle.

Sofern die Beschäftigten die Voraussetzungen erfüllen, kommt grundsätzlich eine ergänzende Finanzierung der Weiterbildungsmaßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit in Betracht. Dies gilt für die Fälle von drohender Arbeitslosigkeit und Weiterbildungsförderung Älterer sowie Geringqualifizierter.

c) Weiterbildungspass

Weiterbildungsmodule sollen ihre Anschlussfähigkeit an die bestehenden Ausbildungsordnungen finden und in einem nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) oder Weiterbildungspass zertifiziert werden. Entsprechend sollten sie in den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) konsequent mit einbezogen werden.

d) Wissenschaftliche Weiterbildung

Die Hochschulen sollten sich im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung von Akademikerinnen und Akademikern und Führungskräften mehr engagieren (siehe Nachqualifizierung von Ingenieuren). Die Zugangsvoraussetzungen müssen erweitert werden.

e) Mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen

Die Abschottung von akademischer und beruflicher Bildung muss ein Ende haben. Wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, muss in Zukunft leichter studieren können. Ein bundesweit einheitlicher und transparenter Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ist überfällig. Gerade der dritte Bildungsweg bietet eine große Chance, mehr Studierende für Technik- und Naturwissenschaften zu mobilisieren. Die Bundesregierung ist aufgefordert, Vorschläge und Initiativen vorzulegen und mit den Ländern auf mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen hinzuwirken. Dies gilt auch für die Vernetzung betrieblicher und beruflicher Weiterbildung mit all-gemeiner und politischer Weiterbildung.

f) Anspruch auf Weiterbildungsförderung im Zuge einer Arbeitsversicherung

Perspektivisch ist die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Dazu gehört insbesondere, dass nicht nur der Versicherungsfall Arbeitslosigkeit abgesichert wird, sondern bereits vorsorgend Arbeitslosigkeit zu vermieden und Übergänge zwischen Phasen abhängiger Beschäftigung, Weiterbildung, selbstständiger Tätigkeit, Familienzeiten etc. abzusichern ist. Damit soll auch bei zunehmend unsteten Erwerbsbiografien die erforderliche soziale Absicherung ermöglicht werden, die ihrerseits erst Flexibilität ermöglicht.

Die Vermeidung bereits des Eintritts von Arbeitslosigkeit, die Bekämpfung unterwertiger Beschäftigung und die Weiterentwicklung des regionalen Beschäftigungs- und Infrastrukturniveaus gehören bereits heute zu den Zielen der Arbeitsförderung (§ 1 SGB III). Im Steuerungsprinzip der Arbeitslosenversicherung sind diese Ziele bisher jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Bei einer Steuerung nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit muss auch die mittel- und langfristige Zeitperspektive mitberücksichtigt und durch geeignete Kennziffern unterlegt werden. Gleiches gilt für die Berücksichtigung und Messung der Qualität der Beschäftigung.


* Mit dem NVQ-System sollte auf die stark zergliederte berufliche Qualifizierung reagiert werden, indem allgemeine Grundlagen geschaffen werden. Hierbei sind Qualifikationen in einzelne Module (units) bzw. Teilqualifikationen untergliedert und unterschiedlichem Schwierigkeitsniveaus zugeordnet. Die Qualifikationen und Module werden als Lernergebnisse in Form von Kompetenzen beschrieben, wobei die einzelnen Module separat abgeschlossen und zertifiziert werden können.


Quelle: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe
„Arbeitsbedingungen verbessern – Rentenzugang flexibilisieren“
des SPD-Parteivorstandes und der SPD-Bundestagsfraktion vom 12.10.2007


Sie können den vollständigen Bericht hier als pdf-Datei herunterladen


Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 16.10.2007