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Bildung und "Humankapital" sind keine Geschwister

Im Herbst 2004 hatte die Unwort-Jury das Wort „Humankapital“ zum Unwort des Jahres gewählt. Der Aufschrei in der Zunft der Ökonomen war groß. Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser schrieb den Kritikern an der Wahl bereits im Februar 2005 ins Stammbuch:

„Denn mit welcher Sicherheit soll denn noch der durch Bildung und Ausbildung zu fördernde menschliche Anteil an der Leistungskraft von Unternehmen wie der ganzen Gesellschaft berechnet werden, wenn im wirtschaftspolitischen und -praktischen Handeln das sog. »Humankapital« von inzwischen mehr als fünf Millionen und mit jeder weiteren Massenentlassung auf den Müll geworfen wird? Was hat die Theorie da noch mit der Realität zu tun? Realität ist doch wohl, dass das »Humankapital« grundsätzlich dem »shareholder value« untergeordnet wird. Auch die um sich greifende Umschreibung von Arbeitkräften als »human resources« (gelegentlich sogar als »personelle Rationalisierungsreserve«) ist mehr als entlarvend. Das rettet auf keinen Fall den angeblich immer noch »humanen« Charakter von »Humankapital«. Auch sollten sich die Experten einmal einer Debatte über etwas weiter gefasste anthropologische Fragestellungen nach dem Wert von Menschen öffnen, der nicht nur mit Euro und Cent berechnet werden kann.“

Die Debatte um die Wahl ist lange vorbei. Und so machte sich das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) jetzt daran, mit einem ausgeklügelten Indikatorensystem die Ausstattung von 26 Ländern mit „Humankapital“ zu erfassen und in ein beleibtes Rankingsystem zu packen. Deutschland, wenn wundert es, schnitt mal wieder mittelmäßig ab.


Methodenkritik oder Lücken und Tücken eines „Humankapitalindikators“

In zwei Bereichen gibt es angeblich erheblichen Nachholbedarf, bei der Aktualisierung und Nutzung des „Humankapitals“. Bei der Nutzung kommt Deutschland besonders schlecht weg, Platz 22 von 26. Ein besonders Problem stellten die niedrigen durchschnittlichen Arbeitszeiten dar. Niedrige durchschnittliche Arbeitszeiten kommen in Deutschland nicht durch zu niedrige Jahresarbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten zustande. Es sind die vermehrten Minijobs und Teilzeitarbeitsplätze, die den Durchschnitt drücken. Folgerichtig müsste das Institut dazu aufrufen, endlich diese Form der Beschäftigung abzuschaffen und durch Vollzeitarbeitsplätze abzuschaffen, dann ginge es auch mit dem Indikator nach oben. Stattdessen fordert das IW verkürzte Bildungszeiten, um einen frühzeitigen Übergang in den Bildungsmarkt zu ermöglichen.

Beim Indikator Aktualisierung spielt die Weiterbildung nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sind die Absolventenzahlen an den Hochschulen und hier insbesondere die von naturwissenschaftlichen Fächern. Die abgeschlossenen Berufsabschlüsse im dualen System hingegen scheinen für die „Humankapitalbildung“ nicht von Bedeutung zu sein. Wahrscheinlich liegt es daran, das es dafür keine internationalen Vergleichzahlen gibt. Reicht das, um sie zu ignorieren?


Wer mehr Bildung für alle fordert, sollte vom „Humankapital“ die Finger lassen.

Man könnte erhebliche Zweifel an der Methode und den Ergebnissen der Studie anmelden. Das Problem wäre dann, dass man dem Konzept der „Humankapitaltheorie“ auf den Leim gegangen wäre. Die Studie vermittelt den Eindruck, als wäre die menschliche Arbeitskraft eine Sammlung von „Humankapitalressourcen“. Nur deren effektiver Einsatz in der Volkswirtschaft ist interessant, der Mensch als Träger von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten verkommt zur Ware. Wer für das Sachkapital längere Maschinenlaufzeiten fordert, der will eben auch längere Lebensarbeitszeiten für das „Humankapital“. Die Betriebswirtschaft formt den Nutzenbegriff der Bildung.


Verteidigen wir die Bildung gegen die Betriebswirtschaft

Oskar Negt schrieb 2004 im DIE Magazin:

„Eine völlige Verdrehung der menschlichen Zeitmaße ist im Gange. Alles hat seine Zeit, heißt es bei Salomo; alles hat eine Zeit, verordnet der betriebswirtschaftlich mutierte Mensch, der nur noch eine technisch zweckrationale Messlatte der Zeitmaße kennt.“

„Der betriebswirtschaftliche Nutzenbegriff fördert am Ende den allseitig verfügbaren Menschen; politisch ist es der leistungsbewusste Mitläufer. Eine demokratische Gesellschaft dagegen lebt vom innegeleiteten, urteilsfähigen Mensch, soziale Lebewesen, die den Eigen-Nutz gleichzeitig in das Gemeinwesen einzubringen vermögen.“

Bildung ist mehr als die Summe von Fertigkeiten und Wissen, sie erst ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Darum lohnt es sich, für mehr und bessere Bildung und Weiterbildung einzutreten. Ein noch so ausgeklügeltes Indikatorensystem des „Humankapitals“ hingegen degradiert Bildung zum betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktor. Mit dem Mensch-Sein hat es nichts gemeinsam.


Peter Schulz-Oberschelp

Hier finden Sie die Meldung zum Kommentar.


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.08.2008