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Altersvorsorgepflicht für Selbständige

Es gibt keine Wahlfreiheit

Die Idee, für Selbstständige eine Pflicht zur Mindestabsicherung für das Alter einzuführen, ist im Kern eine richtige Forderung – gehört doch die Kenntnis über einen absehbaren Anstieg der Altersarmut durch Nicht- oder Unterversicherung längst zum Allgemeinwissen. Für viele Selbstständige – von denen jeder siebte ohne jegliche Altersabsicherung dasteht – kommt die Forderung von Scholz allerdings als Drohung daher. Denn: Olaf Scholz setzt, so die Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 30. August, nicht auf die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, sondern er „will dem Bürger die Wahl lassen“, welche Vorsorgeform er wählt. Und: Mit der Pflicht zur Versicherung, so seine Hoffnung, komme es seltener vor, „dass sich Menschen ohne Sozialversicherung quasi zu Dumpingpreisen als Selbstständige anbieten müssen.“

Ja, wo lebt der Mann? Glaubt er allen Ernstes, mit einer Versicherungspflicht würden die Vergütungen ansteigen? Soll der selbstständige LKW-Fahrer seinem Spediteur klar machen: „Übrigens nehme ich ab heute einen höheren Stundensatz – ich bin nämlich ab sofort pflichtversichert.“ Hat Rechtsanwalt Scholz übersehen, dass es – neben den besser und gut verdienenden Selbstständigen – immer mehr Selbstständige gibt, die allein vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben? Und das häufig als Geringverdiener. Nicht selten beauftragt von Unternehmen, die – unter Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung – die ökonomische Misere und Versicherungsfreiheit der meisten Selbstständigen zur Kostenreduktion nutzen. Hat Scholz vergessen, dass es seine Partei war (und ist), die die Selbstständigkeit – und gerade auch vielfach die gering bezahlte – mit der Hartz-Gesetzgebung als arbeitmarktpolitische Maßnahme gepuscht hat? Dass sie die Instrumente gegen Scheinselbstständigkeit faktisch abgeschafft hat? Und dass eines der wenigen positiven Elemente der Hartz-Gesetzgebung – die freiwillige Arbeitslosenversicherung – für langjährig Selbstständige über Nacht wieder abgeschafft wurde? Kurz: Dass die sozialen Rahmenbedingungen für Selbstständige ohne Beschäftigte, die seit Längerem die Mehrheit der Selbstständigen stellen, im Eifer des Gefechts aus dem sozialdemokratischen Blick geraten sind?

Punktuelle Reparaturversuche – wie jüngst die Gesundheitsreform – zeigen nur: Für die tatsächliche Absicherung gering verdienender Selbstständiger ist wenig gewonnen, wenn diejenigen, die sich keine Absicherung leisten können, dazu gesetzlich verpflichtet werden. Das gilt auch für die Altersversorgung. Bestes Beispiel sind die Honorarkräfte aus der Bildungsbranche: Sie sind Selbstständige, die in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen – und zwar Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag. Das wäre bei einer anständigen Bezahlung kein Problem. Ein Blick auf ihre Stundenhonorare jedoch treibt Außenstehenden die Tränen in die Augen – offenbar aber nicht den (oft öffentlichen) Weiterbildungsträgern, die diese Hochqualifizierten mit Dumping-Honoraren abspeisen.

Solche Geringverdiener haben auch nichts von der Scholz-Forderung nach einer Wahlfreiheit der Anlageform: Übersehen hat der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, dass nur eine Versicherung aller Erwerbstätigen eine solidarische Absicherung garantiert. Tatsächlich krankt doch die gesetzliche Altersvorsorge daran, dass sich besser Verdienende aber auch Beamte nicht solidarisch an der Finanzierung der Rentenkassen beteiligen. Im Bereich besser verdienender Selbstständiger ist eine private Vorsorge ohnehin die Regel, eine Wahlfreiheit oder Sondersysteme nutzen meist nur Privilegierten, die sich damit aus der Solidarität verabschieden. Das müsste Scholz übrigens von der Anwaltsversorgung kennen – einer Pflichtversicherung für Juristen, die vorteilhafte Konditionen bietet, die Scholz aber sicher nicht in das Wahlrecht für jedermann einbeziehen will.

Pflichtversicherungen machen nur Sinn, wenn diese einerseits in einem solidarischen System unter Einbeziehung aller Erwerbstätigen erfolgen und anderseits – wie auf dem letzten DGB-Bundeskongress gefordert – auch Auftraggeber zu dessen Finanzierung herangezogen werden.


Quelle: einblick 16/07


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.09.2007