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Qualifzierungsinitiative von Frau Schavan: Weiterbildung muss Dreh- und Angelpunkt sein

Im internationalen Vergleich ist das deutsche Bildungssystem in der Breite wie in der Spitze zu schwach. Es ist nicht leistungsfähig genug, alle Menschen mit der bestmöglichen Bildung zu versorgen und alle Begabungsreserven auszuschöpfen. Soziale Auslese ist wesentliches Merkmal, zunehmende Bildungsarmut und damit soziale Armut die Folge. Nur bei der Reproduktion von ungleichen Bildungs- und Lebenschancen ist Deutschland in der weltweiten Spitzengruppe, Bildungsstand und Bildungsausgaben dagegen stagnieren. Diese Befunde sind durch zahlreiche Vergleichsstudien belegt und an ihnen müssen sich die Inhalte jeder Nationalen Qualifizierungsinitiative messen lassen. Eine solche Qualifizierungsinitiative bleibt ein Papiertiger, wenn sie nicht durch quantitative Ziele und Indikatoren unterlegt und im Zuge der Bildungsberichterstattung regelmäßig überprüft wird. Vorgaben müssen erarbeitet werden etwa auf den Gebieten:
  • Kinderarmut
  • Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungsbeteiligung
  • Ganztagsschulangebot
  • Schulabgänger ohne Abschluss
  • funktionale Analphabeten
  • Altbewerber auf dem Ausbildungsstellenmarkt
  • Jugendarbeitslosigkeit
  • Studienanfänger- und Studienabbrecherquote
  • Weiterbildungsbeteiligung
  • Bildungsfinanzierung

Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt einer Qualifizierungsoffensive muss der systematische Ausbau der Weiterbildung zur vierten Säule im Bildungssystem sein. Hierzu gehören bundeseinheitliche Rahmenbedingungen, ein gesamtstaatlicher Weiterbildungspakt und vor allem der individuelle Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das „Meister-BAföG“ zu einem Erwachsenenbildungsförderungsgesetz mit einem Rechtsanspruch auf Alphabetisierung und auf einen nachgeholten Schul- und Berufsabschluss zu erweitern, ist ein überfälliger erster Schritt.

Völlig unglaubwürdig ist, wer eine Qualifizierungsinitiative propagiert und gleichzeitig nach Beitragsgeschenken bei der Arbeitslosenversicherung ruft. Die berufliche Weiterbildung wurde systematisch kaputt gespart und erholt sich davon erst langsam. Wenn immer noch tausende Ingenieure arbeitslos sind, wird deutlich, dass die Hebung der in Deutschland schlummernden Bildungspotenziale eindeutige Priorität vor dem Anwerben ausländischer Fachkräfte haben muss. Weitere Spielräume für eine Beitragssenkung müssen deshalb von der Bundesagentur für Arbeit für einen Ausbau der beruflichen Weiterbildung genutzt werden.

Bei der betrieblichen Weiterbildung muss die Wirtschaft jetzt in die Pflicht genommen werden. Es sind zuallererst die Betriebe und Unternehmen, die von einer gut qualifizierten Belegschaft profitieren. Dennoch hat die Wirtschaft die Ausbildung ihres eigenen Fachkräftenachwuchses sträflich vernachlässigt und ihre Weiterbildungsaktivitäten zurückgefahren. Gefordert ist die Wirtschaft bei der betrieblichen Weiterbildung mit Beratung und Freistellung. Und in der Verantwortung steht sie auch bei der Finanzierung: Je höher der betriebliche Nutzen einer Weiterbildungsmaßnahme ist, desto höher muss der Kostenanteil des Arbeitgebers sein.

Der Bund kann und muss im Bildungsbereich mehr investieren – Bildungsausgaben sind individuell wie volkswirtschaftlich gesehen hochrentable Investitionen. Das betrifft neben der Weiterbildung ganz besonders dringend die von der SPD angestoßene BaföG-Erhöhung. Mehrfach nachgewiesen ist der Zusammenhang zwischen einer auskömmlichen BAföG-Zahlung für Studenten aus einkommensschwachen Familien und der Studierendenquote. Mit anderen Worten: Ein starkes BAföG ist genauso wichtig für die Deckung des zunehmenden Bedarfs an qualifizierten Fachkräften wie die Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung.

Weil Deutschland mehr Studierende braucht, muss alles dafür getan werden, dass beim Hochschulzugang keine neuen Hürden geschaffen werden. Wie die fatale Einführung von Studiengebühren in den unionsregierten Ländern ist auch die geplante Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes ein Irrweg. Beim bundesweit einheitlichen und europafähigen Hochschulraum muss es bleiben. Vor diesem Hintergrund ist auch die ZVS wichtiger denn je. Die Länder müssen die ZVS bei der Weiterentwicklung zur Serviceeinrichtung finanziell ausreichend unterstützen, damit sie künftig eine Top-Beratung für Abiturienten und Hochschulen im Bewerbungsdschungel anbieten kann.

Im Bereich der Berufsbildung muss die Abschottung zwischen der beruflichen und akademischen Welt endlich ein Ende finden. Wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, muss studieren können. Ein bundesweit einheitlicher und transparenter Hochschulzugang für Facharbeiter und Gesellen ist überfällig. Gerade der dritte Bildungsweg bietet die große Chance, mehr Studierende für Technik- und Naturwissenschaften zu mobilisieren. Im Koalitionsvertrag ist mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen vereinbart. Jetzt müssen endlich Vorschläge und Initiativen der Bundesbildungsministerin auf den Tisch.

Fakt ist: Deutschland investiert zu wenig in Bildung. Die Bildungsausgaben stagnieren seit Jahren und bei den öffentlichen Mitteln rangiert die Bundesrepublik gerade einmal auf Platz 21 unter 28 OECD-Staaten. Mehr und bessere Bildung für alle heißt also auch, dass mehr investiert werden muss – analog zum 3-%-Ziel für Forschung und Entwicklung braucht Deutschland ein 7-%-Ziel für Bildung. Hierzu gehört auch ein Investitionsbegriff, der Bildung, Wissenschaft und Forschung fiskalisch nicht länger gegenüber ‚Beton’ diskriminiert. Dieses Relikt aus dem Industriezeitalter gehört in die Mottenkiste.


Quelle: Stellungnahme von Ulla Burchardt, SPD-MdB vom 20. 08. 2007

Schlagworte zu diesem Beitrag: Meister-BAföG
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009