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Qualifizierung

Tarifverträge mit sanftem Druck

ver.di PUBLIK: Wo gibt es schon Tarifabschlüsse zur betrieblichen Weiterbildung?

Bahnmüller: Mittlerweile gibt es sie schon in einer ganzen Reihe von Branchen, unter anderem der Metallindustrie, der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der Chemischen Industrie und seit 2005 auch im Öffentlichen Dienst mit den Regelungen im TVöD. Außerdem gibt es bei der Telekom beispielsweise einen Haustarifvertrag.

ver.di PUBLIK: Von wem geht der Anstoß dazu aus?

Bahnmüller: Durchweg von den Gewerkschaften. Die Arbeitgeber haben sich lange Zeit ablehnend verhalten und grundsätzlich keinen Regelungsbedarf gesehen. Sie haben sich in den letzten Jahren etwas geöffnet, allerdings nur für Regelungen, von denen sie annehmen, dass sie ihnen nicht übermäßig viele Verpflichtungen bringen.

ver.di PUBLIK: Was sind die Argumente der Arbeitgeber gegen eine Förderung der betrieblichen Weiterbildung?

Bahnmüller: Sie fürchten Bürokratisierung, Einschränkung ihrer Handlungsautonomie und eine falsche Verwendung der finanziellen Mittel. Wenn jeder ein Recht auf Weiterbildung bekäme, dann könnten die aus ihrer Sicht falschen Leute qualifiziert werden.

ver.di PUBLIK: Welche Beschäftigtengruppen nutzen diese Tarifverträge?

Bahnmüller: Das Problem der bisherigen Regelungen ist, dass sie meist einen relativ "sanften" Charakter haben. Man hat Anspruch auf ein Qualifizierungsgespräch, in dem geregelt werden soll, ob es einen Bedarf gibt und wie er umgesetzt wird. Daraus ergibt sich zwar ein mittelbarer Anspruch, rechtlich durchsetzbar ist er aber nicht. Im TVöD ist ein verbindlicher Anspruch ausdrücklich ausgeschlossen.

ver.di PUBLIK: Profitieren auch eher gering Qualifizierte von den Regelungen?

Bahnmüller: Mit den bisherigen Regelungen bekommen wir bei diesen Gruppen keinen Dreh rein. Wir haben bei der Metallindustrie in Baden-Württemberg eine Auswertung gemacht. Danach hat der dortige Tarifvertrag den Geringqualifizierten am wenigsten gebracht. Man muss Qualifizierung kombinieren mit Arbeitspolitik. Die Leute müssen die Gelegenheit bekommen, ihre Qualifikation einzusetzen. Gerade bei Montagetätigkeiten zeigt sich aber eine rückläufige Entwicklung: Die Aufgaben werden nicht angereichert, sie werden eher weiter eingeschränkt.

ver.di PUBLIK: Hat ein solcher Tarifvertrag trotzdem positive Effekte auf das Weiterbildungsverhalten?

Bahnmüller: Ja. Zum Beispiel in der Metallindustrie: In der Hälfte der Betriebe hat er was bewegt. Die Betriebe haben bestehende Strukturen geprüft, optimiert und ergänzt. In zehn bis 15 Prozent der Betriebe kam es sogar zu einer Initialzündung. Da war vorher nichts, und dann kam was.

ver.di PUBLIK: Fördern solche Tarifverträge das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter/innen?

<Bahnmüller: Ein Drittel der Betriebsräte sagt, die Beschäftigten seien selbstbewusster geworden und treten interessenorientierter auf. Man darf die ganze Sache allerdings nicht überhöhen und sagen: "Wenn da jetzt ein Qualifizierungstarifvertrag kommt, bricht eine neue Zeit an." Sie sind eher Trendverstärker.

ver.di PUBLIK: Was sind die Aufgaben der Gewerkschaften?

Bahnmüller: Zunächst mal Tarifregelungen dort durchzusetzen, wo es sie noch nicht gibt. Die Banken verhandeln gerade und im Einzelhandel wäre es auch an der Zeit. Wenn solche Tarifverträge abgeschlossen sind, müssen die Gewerkschaften die Umsetzung begleiten, beispielsweise mit entsprechenden Schulungen und dem Aufbau von Betriebsräte-Netzwerken.

Interview: Heike Langenberg


Quelle: ver.di PUBLIK 5/2007


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 22.05.2007