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Ohne sozialen Auftrag?

Trotz Neun-Milliarden-Überschusses der Bundesagentur für Arbeit: bei behinderten Menschen wird gespart



Der beruflichen Rehabilitation behinderter Menschen droht das gleiche Schicksal wie der Weiterbildung. Die Belegung der Berufsförderungswerke (BFW) geht bedrohlich zurück: 2004 nahmen noch 18.800 behinderte Menschen an Umschulungsmaßnahmen teil. 2006 sind es noch 13.400. Legt man die aktuellen Anmeldezahlen zugrunde, kommt es 2007 zu einem weiteren Rückgang auf vermutlich 12.500 Umschulungen.

Das Reha-Assessment – die Feststellung, was einer kann und braucht, um wieder ins Arbeitsleben eingegliedert zu werden – ist ebenfalls um etwa ein Drittel rückläufig.

In den BFWs hat sich die Zahl der Beschäftigten entsprechend verringert – von ca. 6690 im Jahr 2004 auf aktuell 5200. Für 2007 ist ein Rückgang auf ca. 4750 Beschäftigte absehbar. In den BFWs gibt es Massenentlassungen, Arbeitsverdichtung und verstärkt Eingriffe in tarifliche Standards. Befristete Verträge laufen vielfach aus. Solch schlechte Perspektive hat in der Weiterbildung bereits dazu geführt, dass qualifizierte Kolleginnen und Kollegen in andere Branchen abwanderten. Gleiches könnte auch die BFWs treffen.



Wo liegen die Gründe für diese Entwicklung?

Die Reha-Träger sagen, es gäbe weniger Anträge von potenziellen Rehabilitanden. Das ist ein Teil der Erklärung. Bei hoher Arbeitslosigkeit versucht jeder, seinen Job zu behalten. Das Risiko, den Betrieb für eine Reha-Maßnahme zu verlassen und danach womöglich arbeitslos zu sein, wird zunehmend gescheut.

Noch mehr Bremswirkung hat jedoch eine veränderte Einstellung zum Anspruch auf Teilhabe bei den Reha-Trägern, vor allem bei der Bundesagentur für Arbeit. Es hat sich ein betriebswirtschaftliches Denken durchgesetzt, bei dem der Rechtsanspruch auf Rehabilitation auf der Strecke zu bleiben droht. Die BA will mit möglichst geringem Mitteleinsatz möglichst hohe Eingliederungsraten erreichen. Sie sortiert ihre arbeitslosen „Kunden“ in Markt-, Beratungs- und Betreuungskunden. Bei den Marktkunden braucht man nichts aufzuwenden, die kommen selbst zurecht. Bei den Beratungskunden soll mit Qualifizierung noch etwas nachgeholfen werden. Bei den Betreuungskunden hingegen wird der finanzielle Aufwand im Verhältnis zur Eingliederungschance für zu hoch befunden. Dort soll das Geld nicht „aus dem Fenster geschmissen werden“. Vertreter der BA haben öffentlich vorgerechnet, dass die Eingliederung bei vielen potenziellen Teilnehmern an Reha-Maßnahmen zu kostspielig sei. BA-Chef Weise sieht keinen sozialpolitischen Auftrag der Agentur. Er sieht die BA deshalb auch nicht in der Verpflichtung, Eingliederungshemmnisse (Behinderung, sprachliche Defizite u. a.) durch Qualifizierungsmaßnahmen auszugleichen, um den Betroffenen Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Da scheint es logisch, einer immer größer werdenden Zahl von behinderten Menschen die Hilfe zu verweigern, die sie dringend brauchen.

Die Politik muss dringend umsteuern

Die Regierung ist in der Pflicht. Sie muss klarstellen, dass der Artikel 3 Grundgesetz und der Rechtsanspruch auf Rehabilitation im SGB IX nicht betriebswirtschaftlichen Überlegungen geopfert werden darf.

Fachleute, auch die des IAB der BA, sagen, dass Deutschland wegen der demographischen Entwicklung und der veränderten Anforderungen am Arbeitsmarkt auf einen Fachkräftemangel zusteuert. Die Politik der BA ist deshalb nicht nur unsozial, sie ist auch volkswirtschaftlich kurzsichtig.

Von Hermann Ziegenbein


Quelle: Weiterbildung aktuell 02/2006

Sie können die vollständige Ausgabe der Weiterbildung aktuell hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 12.11.2006