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Flohmarkt im Deutschkurs

"Wir wollen ein Radio kaufen. Wohin gehen wir?", fragt Dorothea Kohn. 21 Frauen und Männer aus vier Erdteilen beratschlagen. Favorit ist, weil am billigsten, der Flohmarkt.

Dorothea Kohn, Dozentin an der Volkshochschule im baden-württembergischen Emmendingen, arrangiert nun im Klassenraum ein kleines Trödelangebot. Danach schlüpfen die Kursteilnehmer in die Rolle von Verkäufern und Kunden und feilschen um Bücher und das Kofferradio. Auf Deutsch.

Die Szene ist Bestandteil eines so genannten Integrationskurses des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dazu gehören zum einen 600 Stunden Unterricht "zur Vermittlung ausreichender Deutschkennt-nisse". Außerdem stehen 30 Stunden "Orientierungskurs zur Vermittlung von Wissen über das Leben in Deutschland und die in unserer Gesellschaft gültigen Normen und Werte" auf dem Programm. So will es das Zuwanderungsgesetz, das Anfang letzten Jahres in Kraft getreten ist.

Elf Nationalitäten sind in den Emmendinger Kursen vertreten. Da ist Elena L., Lehrerin und Verkäuferin aus Russland. Sie hat in ihrer Heimat Englisch gelernt, doch um in Deutschland eine Arbeit zu finden, reicht das nicht. Abdulkarim A. ist Kurde aus Syrien, wo er Arabisch studiert hat. Dann zog er nach Russland und belegte an der Universität Medizinkurse. In Deutschland hätte er gern weitergemacht, aber "das Problem war die Sprache".

Ali A., ein Kurde, der seit fünf Jahren in Deutschland lebt, kommentiert den Integrationskurs kurz: "Ist gut." Seine mit einem Deutschen verheiratete Mitschülerin aus Thailand meint: "Nix Spaß, ich muss lernen." Svetlana B., Radik Z. und Tatjana S. stammen aus derselben Stadt in Kasachstan, aber erst hier haben sie sich kennen gelernt. In die Pause entlassen quatschen sie auf Russisch: Noch ist ihnen das am vertrautesten.

115000 Menschen haben inzwischen an den Kursen teilgenommen. "Neueinwanderer" aus der EU oder anderen Ländern müssen in der Regel 630 Euro bezahlen, Spätaussiedler aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion können dagegen kostenlos teilnehmen. Doch auch wer Arbeitslosengeld II oder sonstige Sozialleistungen bezieht, kann einen Antrag auf Erlass des Kursgeldes stellen. Und wo noch Plätze frei sind, sind auch "Bestandsausländer" willkommen, wie die vor vielen Jahren nach Deutschland Eingewanderten im Behördenjargon heißen. Sie können freiwillig am Kurs teilnehmen und müssen das bei einer der 22 Regionalstellen des BAMF beantragen.

Kompliziert und nicht hundertprozentig geregelt

Die BAMF-Außenstellen sind außerdem Ansprechpartner für alle Institutionen, die vor Ort mit Integration zu tun haben. Abgesandte von Behörden, sozialen oder kirchlichen Einrichtungen versuchen, die großen und kleinen Stolpersteine bei der Integrationsarbeit aus dem Weg zu räumen: Wer kümmert sich um die Kinder der Sprachschüler, während sie büffeln? Wer übernimmt die Fahrtkosten? Wie gehts weiter, wenn jemand den Kurs unterbricht, weil er oder sie krank ist, die alte Heimat besucht oder eine Arbeitsstelle gefunden hat? "Das sind Dinge, die kompliziert und obendrein nicht hundertprozentig geregelt sind", berichtet Albert Versteeg, BAMF-Regionalkoordinator in Freiburg im Breisgau.

Sonja Marko, bei ver.di zuständig für Migration, sieht die "Brisanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit". Dem guten Willen zur Integration stünden die "hoffnungslose Unterfinanzierung" gegenüber. Der Staat schießt pro Kopf und Unterrichtseinheit gerade einmal 2,05 Euro zu. Auch die Ausführungsbestimmungen machten viel kaputt: Die Organisationen müssen einen hohen bürokratischen Aufwand bewältigen. BAMF-Pressesprecherin Marlene Kerpal versichert, dass das Gesetz schon vor dem geplanten Termin im Jahr 2007 überprüft werde. Außerdem bekämen die Kursträger ja Zuschüsse für die Verwaltungskosten.

"Mit den Integrationskursen können wir Leute erreichen, die früher nicht zu erreichen waren", nennt Carola Grasse, die ebenfalls in Emmendingen unterrichtet, zunächst einen wichtigen Pluspunkt des Angebots. Zugleich aber sind sie und ihre Kollegen weit mehr als nur Lehrende; sie sind auch Anlaufstation bei privaten und sonstigen Nöten. So leisten sie manche Stunde über den Unterricht hinaus - unbezahlt. Solches Engagement ist vor allem dort nicht selbstverständlich, wo die Stundenhonorare für Dozenten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes dramatisch nach unten gerutscht sind.

Ein privater Träger in Berlin beispielsweise zahlt nur 10,25 Euro, aus Dortmund wird ein Minimum von 11,25 Euro und aus Stuttgart 12 Euro gemeldet. Im Jahr 2004 lag die unterste Grenze im Sprachunterricht bei 23,10 Euro. Jetzt werden Sätze zwischen 20 und 25 Euro meist nur noch von Volkshochschulen gezahlt; doch auch bei ihnen wird das Geld knapp.

Die Aktion Butterbrot, eine bundesweite Interessenvertretung für Deutsch lehrende Honorarkräfte, die auf Ortsebene mit ver.di zusammenarbeitet, fordert ein Mindesthonorar von 23,10 Euro. Außerdem will sie durchsetzen, dass der Kurs für Menschen mit entsprechendem Bedarf auf 1000 Stunden ausgedehnt wird und höchstens 15 Schüler in jeder Klasse sitzen. Für Ulrike Kalmbach in Emmendingen wären solche Bedingungen "ein Traum".

von Dietmar Rothwange

Quelle: ver.di Publik 06/2006


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 28.06.2006