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Europäischer Qualifikationsrahmen: Qualität ist das Ziel

Interview der KAW mit Österreichs Bundesbildungsministerin Elisabeth Gehrer

Seit dem 1. Januar 2006 hat Österreich für sechs Monate in der EU die Ratspräsidentschaft inne. Wichtige Entscheidungen fallen in diesen Zeitraum – auch im Bereich Bildung.

Österreichs Bundesbildungsministerin Elisabeth Gehrer äußert sich gegenüber der KAW über die Bildungsschwerpunkte der EU-Ratspräsidentschaft.


KAW: Welches sind die grundsätzlichen Ziele der Bildungspolitik unter österreichischer Ratspräsidentschaft?

Elisabeth Gehrer: Ich habe die österreichische Präsidentschaft im Bereich Bildung unter das Motto „Die Qualität ist das Ziel“ gestellt. Wir wollen der Jugend eine bestmögliche Bildung mitgeben. Deshalb müssen wir in erster Linie auf die Sicherung und Steigerung der Qualität der Ausbildungseinrichtungen und nicht auf rein organisatorische Maßnahmen abzielen. Das spiegelt sich auch in den Initiativen wider, an denen wir in der österreichischen Präsidentschaft arbeiten. Besonders wichtig sind dabei die Weiterführung der Arbeiten am europäischen Qualifikationsrahmen und die Definition der Schlüsselkompetenzen. Dazu werden beispielsweise Mathematik, IKT-Kompetenzen, aber auch sprachliche Fähigkeiten, vor allem die Mehrsprachigkeit, gehören. Ein großes Anliegen ist mir auch die Integration der Westbalkanstaaten in den erweiterten europäischen Bildungsraum.


KAW: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Chancen eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQF)?

Elisabeth Gehrer: Die Europäische Kommission hat erkannt, dass der Vergleich formeller Abschlüsse allein wenig aussagekräftig ist. Deshalb hat sie die Initiative zur Schaffung eines „Europäischen Qualifikationsrahmens“ gesetzt. Im Vordergrund steht dabei, was ein Mensch kann, also die Kompetenzen und Fähigkeiten, die er erworben hat und nicht die formelle Ausbildung. Die Orientierung an Lernergebnissen und nicht an Abschlüssen bringt Arbeitssuchenden, die deutlich machen wollen, was sie können, und Wirtschaftstreibenden, die qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen, im Gegensatz zum Vergleich rein formeller Abschlüsse große Vorteile. Durch die Schaffung eines Qualifikationsrahmens steigert die Europäische Union für alle die Chancen auf einen attraktiven Arbeitsplatz.


KAW: Bei aller Unterschiedlichkeit der nationalen Bildungssysteme: Wie kann es überhaupt gelingen, einen Europäischen Qualifikationsrahmen zu entwickeln, der den nationalen Besonderheiten bzw. den größtenteils noch zu entwickelnden Nationalen Qualifikationsrahmen (NQF) gerecht wird?

Elisabeth Gehrer: Gerade weil die nationalen Bildungssysteme so unterschiedlich sind, ist die Schaffung eines Qualifikationsrahmens wichtig. Zunächst arbeiten die Länder eigene Vorschläge aus. Die Ergebnisse dieser Nationalen Qualifikationsrahmen fließen dann in den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF - European Qualifications Framework) ein. Der EQF wird nichts an der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Bildungs- und Ausbildungssysteme ändern, er wird aber eine „Übersetzungshilfe“ zwischen den verschiedenen Systemen sein.


KAW: Mit Blick auf Projekte wie bspw. EQF oder das Europäische Kreditpunktesystem ECVET glauben viele Träger und Akteure der Weiterbildung in Deutschland, dass „Bildungspolitik in Brüssel gemacht wird“. Die Verbände fürchten, einen Nationalen Qualifikationsrahmen an europäische Rahmenbedingungen anpassen zu müssen, die Hoheit im Bildungsbereich abgeben zu müssen. Können Sie diese Befürchtungen entkräften?

Elisabeth Gehrer: Mir ist wichtig, festzuhalten, dass Bildung nationales Recht ist und nationales Recht bleibt. Trotzdem ist es richtig, Fragen, die alle betreffen, gemeinsam zu behandeln. Dies gilt gerade für den Europäischen Qualifikationsrahmen. Das Ziel eines gemeinsamen europäischen Bildungs- und Arbeitsmarktes ist es, eine Übersetzung der nationalen Bildungs- und Ausbildungssysteme auf europäischer Ebene zu finden und so den Mehrwert Europas spürbar machen zu können.


KAW: Ein wesentliches Problem des EQF ist, dass er sich nur schwer vermitteln lässt. Er ist wenig greifbar, sehr abstrakt. Mit welchen Maßnahmen, auch kommunikativer Art, lässt sich ein EQF vermitteln?

Elisabeth Gehrer: Die Bedeutung des Europäischen Qualifikationsrahmens lässt sich am besten an Hand konkreter Beispiele darstellen. Wir haben in Österreich sehr gute berufsbildende Schulen. Ein Absolvent einer höheren technischen Lehranstalt im IT-Bereich kann beispielsweise ein sehr gut ausgebildeter Netzwerktechniker sein. Das ist in Österreich bekannt, nicht aber in den anderen EU-Staaten. Mit dem europäischen Qualifikationsrahmen ist es künftig möglich, dass auch Arbeitgeber in anderen Staaten wissen, welche Fähigkeiten dieser Absolvent erworben hat.


KAW: Die Stellungnahmen aus den nationalen Bildungsministerien sind in Teilen sehr unterschiedlich. Deutschland fordert bspw. eine Fokussierung auf die berufliche Bildung, Österreich verlangt eine gleichrangige Behandlung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Irland wiederum hat als eines der wenigen europäischen Länder bereits einen nationalen Qualifikationsrahmen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen, wie kann man da einen Kompromiss und brauchbaren Entwurf eines EQF erzielen?

Elisabeth Gehrer: Die Forderungen der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs sind nicht widersprüchlich. Auch Österreich fordert, die Bedürfnisse der beruflichen Bildung zu berücksichtigen. Es ist aber wichtig, dass der Europäische Qualifikationsrahmen die gesamthafte Persönlichkeitsbildung beinhaltet, die sowohl die berufliche als auch die allgemeine Bildung umfasst, denn Bildung ist schließlich mehr als nur Beschäftigungsfähigkeit.


KAW: Für die Jahresmitte ist eine Empfehlung des Europäischen Rates und des Parlaments geplant – ein sehr ambitionierter Zeitplan. Welche Maßnahmen ergreifen Sie im Ministerrat, um diesen Prozess voranzubringen?

Elisabeth Gehrer: Wir verfolgen einen straffen Zeitplan. Zuerst müssen wir die nationalen Ergebnisse analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Wir haben uns daher Ende Februar 2006 in Budapest mit den Ergebnissen des Konsultationsprozesses befasst. Diese Ergebnisse werden in den politisch wichtigen Fragen bei der Ministerkonferenz im März 2006 in Wien diskutiert werden. Gemeinsam mit der Kommission werden wir die weiteren Arbeitsschritte bestimmen und die Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens engagiert vorantreiben, um den Menschen noch mehr Chancen in Europa zu bieten.



Weitere Interviews, Stellungnahmen sowie ausführliche Informationen zum Thema EQF finden Sie im aktuellen KAW-Infodienst auf der Homepage der KAW.

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006