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FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper fordert: Politische Konsequenzen für lebenslanges Lernen

Berlin. FDP-Generalsekretärin CORNELIA PIEPER hielt heute einen Vortrag bei einer Diskussionsveranstaltung des Bundesverbandes Berufliche Qualifizierung. Wir geben Ihnen hier wesentliche Auszüge wider:

Bildung und Lernen müssen in Zukunft neu gedacht und dann auch neu in Angriff genommen werden. Die bisherige Vorstellung, im Kindes- und Jugendalter eine Phase des Lernens zu durchlaufen, die mit einem Zustand des fertigen beruflichen Könnens abschließt, ist veraltet und geht an der Wirklichkeit unserer Gesellschaft vorbei. Vielmehr müssen kontinuierlich Lernangebote vorhanden sein und wahrgenommen werden. Diese sollen der Erneuerung der beruflichen Kompetenz und ihrer Erweiterung, aber auch der Persönlichkeitsbildung dienen.

Der Stellenwert der Weiterbildung ist in Deutschland bisher leider schlecht. Nach der 2003 erschienenen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung liegt die Chance von Arbeitnehmern/innen in Deutschland, an einer betrieblichen Lehrveranstaltung teilnehmen zu können, mit 36% unter den Werten fast aller Mitgliedstaaten der EU und verweist Deutschland auf Platz 16. Nur in Österreich (35%) und Griechenland (34%) sowie einigen der neuen EU-Länder ist die Weiterbildungsbeteiligung noch geringer. Bei der Weiterbildungsintensität liegen wir noch weiter hinten: Mit 27 Kursstunden pro Teilnehmer/in stehen wir an 22. Stelle .

Diese Zahlen haben sich im letzten Jahr wegen der restriktiven Politik der Bundesagentur für Arbeit noch erheblich verschlechtert. Um das zu wissen, muss man keine neue Untersuchung abwarten.

Dies ist für die Zukunft des Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsstandorts Deutschland höchst gefährlich. Ich will hier auf die Untersuchung einer Stiftung verweisen, die wir sonst nicht so oft zitieren: Die Untersuchung "Lebenslanges Lernen: Aktuelle Strategien im Sozialdialog in Europa" der Hans-Böckler-Stiftung hat vier gravierende Unterschiede zwischen der deutschen Weiterbildungspolitik und der Politik in anderen europäischen Ländern nachgewiesen.

  1. schließt lebenslanges Lernen in anderen Ländern alle Bildungsbereiche ein.

  2. werden in anderen Ländern die Rahmenbedingungen
  3. für das lebenslange Lernen sehr stark durch die Politik definiert.

  4. wird ein deutlicher Schwerpunkt in anderen Ländern auf die Förderung individueller Verantwortung für die eigene berufliche Entwicklung gelegt.

  5. ist der wesentliche Ansatz, um selbst verantwortetes lebenslanges Lernen zu fördern, die Einrichtung individueller Lernkonten.


Wenn das Konzept des lebenslangen Lernens in Deutschland erfolgreich sein soll, muss das Image von wissenschaftlicher, beruflicher und sozialer Bildung und Weiterbildung erheblich verbessert werden. Lernen muss zukünftig als Chance für berufliches Weiterkommen und soziale Anerkennung begriffen werden und nicht als unangenehme Belastung.

Wir stehen vor schwerwiegenden demographischen Herausforderungen. Stichworte dazu: Alterung der Gesellschaft, gestiegene Lebenserwartung, zu geringe Kinderzahl. Schon 2030 wird der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung mehr als 40 Prozent betragen. Der Anteil jüngerer Fachkräfte in der Wirtschaft wird sich dramatisch zugunsten der Älteren verschieben. Bis 2050 wird die Bevölkerungszahl in Deutschland von derzeit etwa 82 Millionen auf etwa 68 Millionen Einwohner zurückgehen. Klar ist, dass es angesichts dieser Zahlen absolut notwendig ist, die sozialen Sicherungssysteme an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Hierzu hat die FDP Konzepte entwickelt. Ebenso klar ist aber auch, dass diese Entwicklung das Bildungssystem vor eine gewaltige Herausforderung stellt und den Stellenwert von Weiterbildung massiv aufwerten muss. Denn begleitet wird diese Entwicklung von einem technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftliche Wandel, der von uns allen ständige Anpassungsprozesse, und das bedeutet Lernen, erfordert.

Ich will noch auf eine andere, bislang zu wenig beachtete Tatsache aufmerksam machen: 2020 werden sich diejenigen Menschen im produktivsten Teil ihres Erwachsenenalters befinden, die jetzt zwischen 10 und 35 Jahren alt sind. Genau diese Menschen haben aber ein heutiges Bildungssystem als Jugendliche durchlaufen, dass den Anforderungen nur höchst ungenügend nachkommt. Ich verweise auf die PISA-Untersuchungen, aber auch auf die verschiedenen OECD-Berichte, die kennen Sie alle.

Auch deshalb wird der Bedarf an Weiterbildung gegenüber heute stark ansteigen. Dabei – und hier folge ich einer Analyse des Verbandes der Bayerischen Wirtschaft, wird es auch einen erheblichen Bedarf an Grundqualifikationen geben. Die gegenwärtig bei vielen jetzt ganz jungen Menschen unzureichende Lernfähigkeit muss erweitert werden, die Fähigkeit, individuelle Lernstrategien zu entwickeln, muss herausgebildet werden. Der Modernisierungsdruck in der Wirtschaft wird noch einmal angestiegen sein. Dies wird durch die weiter vorangetriebene Öffnung der Weltmärkte und die wahrscheinliche nochmalige große EU-Erweiterung (Rumänien, vielleicht die Türkei, Ukraine usw., in jedem Fall als „privilegierte Partnerländer“ mit voller wirtschaftlicher Teilhabe) verursacht.

Der Mangel an jüngeren Arbeitskräften wird die Aktivierung bisher unterdurchschnittlich erwerbstätiger Gruppen beschleunigen und den entsprechenden Weiterbildungsbedarf auslösen: bei Frauen mit Aufstiegs- und Widereinstiegswünschen, Migranten, längerfristig arbeitslos Gewesenen usw.

Die EU hat den Bedarf an verstärkter Förderung des lebenslangen Lernens im Gegensatz zur Bundesregierung erkannt und mit massiver Unterstützung der liberalen Fraktion für die Zeit von 2007 bis 2013 eine Verdreifachung der finanziellen Mittel im Bildungsbereich auf insgesamt 13,6 Mrd. € beschlossen.
Das Programm umfasst neben der Förderung von Auslandssemestern der Studierenden und des Schüleraustauschs vor allem Praktika für Berufstätige und den grenzüberschreitenden Austausch innovativer Weiterbildungsangebote. Das speziell auf die Anbieter und Beteiligte der Erwachsenenbildung ausgerichtete Grundtvig-Programm umfaßt immerhin 593 Mio €.

Als Konsequenzen für die nationale Politik sehe ich zumindest folgende Notwendigkeiten:

  • Wir müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Weiterbildungspflicht in arbeitsrechtliche Regelungen schaffen.

  • Wir müssen die Qualitätssicherung der Weiterbildungsangebote z.B. durch die Aufwertung der bisherigen Ansätze der Stiftung Warentest zu einer Stiftung Bildungstest fördern.

  • Wir müssen die Mitbestimmungsregeln im Betriebsverfassungsgesetz bezüglich inhaltlicher Gestaltung von Weiterbildungsangeboten abschaffen.


Ich freue mich, dass der langjährige Vorschlag der FDP, einen lebenslang gültigen Qualifizierungs- oder Bildungspasses zu entwickeln, sich langsam durchzusetzen scheint. Die BLK ist unserer Einschätzung gefolgt, dass das Marketing und das Image der Weiterbildung verbessert werden muss und glaubt mit uns, dass dies u.a. durch einen solchen Pass geschehen kann.

Die von uns geforderte und jetzt auch in das Berufsbildungsgesetz einfließende Modularisierung von Bildungsinhalten, also die bausteinartige Zusammensetzung des Bildungsprozesses, wird einen weiteren Beitrag zur Akzeptanz von Weiterbildung leisten. Die notwendige horizontale und vertikale Vernetzung der verschiedenen Bildungsangebote kann so tatsächlich realisierbar werden.

Mir ist in diesem Zusammenhang noch eines sehr wichtig: Die Vereinbarkeit von Beruf, Weiterbildung und Familie muss erheblich gestärkt werden. Auch in den westlichen Bundesländern brauchen wir Standards, die dies den Familien möglich machen.

Lassen Sie mich noch zur aktuellen Lage kommen:

Die derzeitigen Probleme, die durch das dramatische Zurückfahren der öffentlichen Finanzierung entstanden sind, sind uns bewusst. Am Dienstag hat die FDP-Fraktion erneut eine kleine Anfrage beschlossen, die die Fragwürdigkeit der derzeitigen BA-Politik aufdecken wird.

Die Mittel für die Weiterbildung sind von ca. 5 Mrd. € in 2003 auf ca. 3,6 Mrd. € in 2004 heruntergefahren worden. Dies ist eine Kürzung von 28% in einem Jahr, die natürlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Weiterbildung insgesamt und besonders auch auf die Weiterbildungsträger hat. Wir wollen unter anderem wissen, wie dieser Rückgang mit den Empfehlungen der Kommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ und den Empfehlungen der BLK zusammenhängt. Von besonderem Interesse ist für uns auch Ihre Erfahrung, ob mit der Verringerung der Weiterbildungsmaßnahmen eine Erhöhung der Zahl der Langzeitarbeitslosen verbunden ist, wie wir dies aus Sachsen-Anhalt kennen.

Lassen Sie mich noch einige Worte zur Finanzierung sagen:

Die Finanzierung der Weiterbildung muss auf neue und verlässliche Grundlagen gestellt werden.

Die Kosten der Weiterbildung sind beträchtlich: Zum einen sind es Kosten des Lebensunterhaltes während der Weiterbildung, dann die Kosten möglicherweise entgangenen Einkommens während dieser Zeit und schließlich die Kosten der Weiterbildung selbst.

Klar scheint mir zu sein, dass die Kosten zwischen dem Individuum, den Unternehmen und dem Staat in irgendeiner und von der Weiterbildungsart abhängiger Form aufgeteilt werden müssen. Die Kommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ hat bemerkenswerte Vorschläge gemacht, die schnell diskutiert werden müssen.

Als erstes empfiehlt sie den Ausbau des Bildungssparens und die Gleichstellung mit dem Bausparen. Tarifvertraglich könnten in dieses Bildungssparen zusätzliche Arbeitgeberleistungen eingebracht werden. Die unternehmensnahe Weiterbildung könnte z.B. durch freiwillige Umlagen wie in der Bauwirtschaft gefördert werden. Ebenso wäre eine Verzahnung von SGBIII-Maßnahmen mit betrieblichen Maßnahmen wünschenswert. Möglichkeiten, wie Bildungsdarlehen mit nachgelagerter Rückzahlung, Bildungskonten usw. müssen geprüft werden. Ich möchte Sie auffordern, sich an diesen wichtigen Diskussionen aktiv zu beteiligen.

Ein hohes Niveau an Einkommen, an Gesundheitsleistungen und sozialer Sicherheit lässt sich nur halten, wenn die Wirtschaft weiter für eine hohe Wertschöpfung sorgt. Voraussetzung dafür sind ein hervorragendes Bildungswesen, exzellente Bedingungen für Wissenschaft und Forschung und eine große Innovationsfähigkeit der Gesellschaft. Bildung und Forschung haben in unserem Land den Stellenwert verloren, den sie aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung verdienen.

Für ein radikales Umdenken, eine nationale Strategie für Bildung und Forschung ist es höchste Zeit. In diese Strategie muss die Weiterbildung gleichberechtigt mit allen anderen Bildungsbereichen eingebunden werden.

Quelle: Pressemitteilung der FDP vom 02.12.2004


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 03.12.2004