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Arbeitsamt-geförderte berufliche Weiterbildung vor dem Aus?

Die mit Jahresbeginn 2003 eingeführten Neuregelungen im SGB III haben zu gravierenden Einschnitten bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung geführt. Dies betrifft sowohl die Nachfrager als auch die Anbieter von Weiterbildung. Hans-Jürgen Sattler, Bereichsleiter Weiterbildung in der ver.di-Bundeszentrale, hat vorhandene Daten gesichtet und über eine eigene Betriebsrätebefragung ergänzt.



Mit dem Inkrafttreten des »Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (BGBl I 2002, S. 4607.4621) am 1. Januar 2003 samt zugehörigen Änderungen der Regelungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im SGB III und einer gleichzeitigen neuen Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in diesem Bereich haben sich die Bedingungen dieses Instruments der aktiven Arbeitsmarktpolitik grundlegend geändert.

Nach der Neuregelung im SGB III wird jedem Erwerbslosen, bei dem der Arbeitsberater nach einem differenzierten Profiling oder aufgrund einer Eingliederungsvereinbarung die Notwendigkeit einer beruflichen Qualifizierung feststellt, ein Bildungsgutschein ausgehändigt. Der Bildungsgutschein ist räumlich auf den Tagespendelbereich begrenzt, beinhaltet das Bildungsziel und die Qualifizierungsschwerpunkte, die Weiterbildungsdauer und hat eine Gültigkeit von drei Monaten. Mit Aushändigung des Bildungsgutscheines wird die Finanzierung der Weiterbildung von der BA verbindlich zugesagt. Der Bildungsgutscheininhaber kann den Bildungsgutschein bei einem zugelassenen Träger seiner Wahl einlösen.

Nach geschäftspolitischen Weisungen der BA (Rundbrief 102/2002, S. 4) ist entscheidende Voraussetzung für die Zulassung einer Weiterbildungsmaßnahme und die damit verbundene Ausgabe eines Bildungsgutscheines die Beurteilung der arbeitsmarktlichen Zweckmäßigkeit. Nur Maßnahmen mit einer prognostizierten Verbleibsquote von 70 Prozent werden zugelassen. Der Arbeitsberater hat zu prognostizieren, ob sechs Monate nach Ende der Maßnahme 70 Prozent der jeweiligen Teilnehmer einer Weiterbildung nicht mehr arbeitslos sind. Wenn der Arbeitsberater meint, das sei nicht der Fall, kann die Schulung nicht durchgeführt werden.

Die Maßnahmenkosten der Weiterbildungsträger haben sich an bundesweit gültigen Durchschnittskostensätzen zu orientieren. Dabei werden besondere Leistungen – wie u.a. sozialpädagogische Betreuung – nicht mehr außerhalb dieses Durchschnittssatzes von der BA anerkannt.

Es gibt noch keine abschließenden Untersuchungen zu den ausgegebenen und eingelösten Bildungsgutscheinen, so dass auch noch nicht festgestellt werden kann, ob und wie sich das neue Instrument bewährt. Erste Ergebnisse sind allerdings mehr als ernüchternd und stellen die Finanzierung der Weiterbildung über den Bildungsgutschein im SGB-III-Bereich in Frage.

Nur wenige Arbeitsämter veröffentlichen dazu Daten. Im Bereich des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg lag die Einlösequote im Juni bei 55,5 Prozent. Kühnlein/Klein (2003) kommen im Bereich des Landesarbeitsamtsbezirks Nordrhein-Westfalen zu einem ähnlichen Ergebnis. Von Januar bis Mai 2003 wurden dort 19.449 Bildungsgutscheine ausgegeben, davon 10.736 (55,2 Prozent) eingelöst, 1.227 storniert (6.3 Prozent), 1.224 (6,3 Prozent) abgelaufen und 6.262 ( 32,2 Prozent) waren offen. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass sie speziell im ländlichen Bereich oft weit niedriger liegt.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Einlösequote bei den Bildungsgutscheinen niedrig ist. Der Gutschein kann von den Inhabern nur sinnvoll bei einem bestehenden Markt und bei einer entsprechenden Markttransparenz genutzt werden. Dies ist im Bereich der Weiterbildung oft nicht gegeben. Hinzu kommt, dass Beratungsstrukturen fehlen. Statt dass die Politik solche Beratungsstrukturen schafft oder bestehende fördert, dürfen bestehende Kompetenzen bei den Arbeitsämtern nicht genutzt werden. Die Arbeitsämter sind angewiesen, weder Empfehlungen abzugeben noch dem Qualifikationswilligen Hinweise auf beabsichtigte Schulungen von Trägern zu geben.

Winkel (2003) hat auf Basis der BA-Statistiken Repräsentationsfaktoren für die Weiterbildungsteilnahme einzelner Gruppen von Arbeitslosen errechnet. Sie zeigen, wie stark diese gemäß ihrem Anteil an allen Arbeitslosen an »Neueintritten« in berufliche Bildungsmaßnahmen beteiligt sind. Besonders stark gesunken ist die Beteiligung von Langzeitarbeitslosen, Schwerbehinderten und älteren Arbeitslosen. (Deren Anteil an allen Arbeitslosen lag im Juni 2003 bei 25,4 Prozent; der Anteil an den Bildungsteilnehmern bei nur 7,4 Prozent.) Ursächlich ist u.a. die Verbleibsquote. Arbeitslose, die besondere Handicaps haben, verschlechtern die mögliche Verbleibsquote. Besser qualifizierte, gesundheitlich fitte Arbeitslose und Jüngere werden dagegen jetzt prozentual überdurchschnittlich häufig gefördert.

Mit den Grundsätzen der Hartz-Kommission wie »Fördern und Fordern« sowie »keine Leistung ohne Gegenleistung« (Hartz-Kommissionsbericht S. 45) werden arbeitsmarktpolitische Ziele wie die Erhaltung und Verbesserung von Qualifikationen von der Politik der rot-grünen Bundesregierung dem Markt überlassen und begraben. Die neue Arbeitsmarktpolitik ist ausgerichtet auf »die eigene Integrationsleistung des Arbeitslosen« (ebd.) und die unmittelbare Vermittlung in Arbeit. Die Qualität der Arbeitsplätze (z.B. Bezahlung) oder die Nachhaltigkeit der Vermittlung werden ausgeblendet.

Diese neue Arbeitsmarktpolitik führt dazu, dass trotz steigender Arbeitslosenzahlen die Zahl der Teilnehmenden in beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen dramatisch sinkt. Deutlich wird der Rückgang, wenn die absoluten Monatszahlen des Vorjahres und dieses Jahres verglichen werden. Im August des letzten Jahres haben 319.563 Arbeitslose, in diesem Jahr nur 212.482 Arbeitslose an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Das ist ein Rückgang von über 30 Prozent .

Die Auswirkungen der rot-grünen Politik im Weiterbildungssektor trifft nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch die Weiterbildungsträger und deren Beschäftigten. Der zunehmende Wettbewerb auf dem kleiner werdenden SGB III geförderten Weiterbildungsmarkt, der erhöhte Preisdruck durch die Bundesdurchschnittskostensätze und die Planungsunsicherheit durch den Bildungsgutschein und die Verbleibsquote führt die Bildungsträger zu Veränderungen bei Beschäftigtenzahl und -struktur, ihrer Organisation und ihrer Angebote. Je höher der Anteil der SGB-III-Maßnahmen am Umsatz, um so größer der Veränderungsbedarf bei dem einzelnen Bildungsträger. Da beispielsweise die Volkshochschulen nur ca. 10 Prozent ihrer Einnahmen aus der SGB-III-geförderten Weiterbildung beziehen, ist kein großer Anpassungsbedarf ersichtlich.

Kurzfristig versuchen die betroffenen Bildungsträger, Kosten zu reduzieren. Ein Mittel ist die Schließung von Niederlassungen und der Abbau von Arbeitsplätzen. Die Gewerkschaft ver.di befürchtet in der gesamten Branche einen Abbau von 20.000 Arbeitsplätzen. Erste Erfahrungen unterstützen diese Befürchtungen. Dabei sind die einzelnen Phasen in den Unternehmen sehr unterschiedlich. Wird in einem Unternehmen erst ein Abbau für das Jahr 2004 in Betracht gezogen, sind andere Unternehmen bereits in ihrer zweiten Interessensausgleichs- und Sozialplanphase. Der Abbau von Arbeitsplätzen stellt sich in ausgewählten Weiterbildungsunternehmen wie in Übersicht 2 zusammengestelt dar.

Bildungsträger/Beschäftigte Gesamt/geplanter oder durchgeführter Abbau

Berufsfortbildungswerk GmbH (bfw), Berlin / 520 / 150
Berufsfortbildungswerk Gemeinnützige Bildungs-einrichtung des DGB GmbH (bfw), Erkrath / 1900 / 500
Berufsfortbildungszentrum Essen, Essen / 360 / 150
Bildungswerk Niedersächsischer Volkshochschulen GmbH, Hannover / 440 / 104
Deutsche Angestellten-Akademie GmbH, Hamburg / 2050 / 620
SBB Stiftung Berufliche Bildung, Hamburg / 186 / 58
Stiftung Grone Schule, Hamburg / 150 / 30

Quelle: Eigene Betriebsräteabfrage


Gleichzeitig kommt es zu organisatorischen und strukturellen Veränderungen bei den Weiterbildungsträgern. Sie sind u. a. gekennzeichnet durch einen Abbau und eine Verkleinerung von Niederlassungen/Zweigstellen. Kleine Organisationseinheiten mit einer geringen Personalausstattung (Leiter, Verwaltung und Bildungsmanager) und flexibler Raumausstattung sind denkbar. Die Folge ist, dass pädagogische Mitarbeiter in einem Normalarbeitsverhältnis nur noch die Ausnahme bilden und die Honorararbeit zunehmen wird. Die Folgen dieser »VHS-ialisierung« der arbeitsamtsgeförderten Weiterbildung mit kleiner werdenden Stammbelegschaften und zunehmenden Randbelegschaften auf die Qualität der Maßnahmen sind noch nicht absehbar.

Tarifgebundene Bildungsträger versuchen über Outsourcingprozesse von Unternehmenteilen/Geschäftsfeldern ihre Tarifverträge zu unterlaufen und gleichzeitig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Es ist zu befürchten, dass dieser Dumpingwettbewerb auch einen verstärkten Druck auf bestehende Tarifverträge ausüben wird. Die Bedeutung eines Branchentarifvertrages für diesen Bereich der Weiterbildung wird durch diese Entwicklung größer.

Als Fazit wäre festzuhalten: Berufliche Weiterbildung ist als zentrales Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu sichern. Der Arbeitsmarkt ist u.a. durch eine tendenzielle Absenkung des Erwerbsarbeitsvolumens, zunehmende Flexibilisierung sowie durch eine Verlagerung zu höher qualifizierten Tätigkeiten gekennzeichnet. Ziel muss es sein, allen Menschen, die können und wollen, dauerhaft die Möglichkeit einer existenzsichernden Arbeit zu geben. Deshalb kommt es stärker als in der Vergangenheit darauf an, die Qualifikation des Arbeitskräftepotenzials den sich stetig verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen.

Bei anhaltend hoher Massenarbeitslosigkeit ist es um so dringlicher, berufliche Fort- und Weiterbildung als zentrales Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau zu erhalten. Unterstützt wird diese Auffassung auch durch eine Entschließung des Deutschen Bundestages (2002, S. 3), nach der die Bundesregierung sicherzustellen hat, dass sich bei der Anwendung der neuen Regelungen über die Weiterbildungsförderung, insbesondere bei der Ausgabe von Bildungsgutscheinen bewährte Bildungsstrukturen weiterentwickeln können.



Literatur

Deutscher Bundestag (2002): Entschließungsantrag zum Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Drucksache Nr.15/98

Kühnlein, G./Klein, B. (2003): Bildungsgutscheine – mehr Eigenverantwortung, mehr Markt, mehr Effizienz? Unveröffentlichtes Manuskript Sozialforschungsstelle Dortmund, S. 38

Winkel, R. (2003): Verheerende Halbjahresbilanz bei beruflicher Weiterbildung. In: Soziale Sicherheit, H. 7, S. 226-229

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Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 05.12.2003