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Werkverträge brauchen bessere Regeln

Seitdem die Regulierung der Leiharbeit zumindest etwas vorankommt, setzen Unternehmen vermehrt Werkverträge für Billigjobs ein. Einige Nachbarländer tun mehr gegen Missbrauch, zeigt ein Gutachten.

Sie räumen Supermarktregale ein, putzen Hotelzimmer oder fahren für Kurierdienste. Sie gelten als Selbstständige oder Beschäftigte einer Firma, die vom Einzelhändler, dem Hotel oder dem Kurierdienst formal pro "Werk" bezahlt wird: für das volle Regal, das saubere Zimmer oder das gelieferte Paket. Gewerkschafter warnen, zweifelhafte Werkverträge breiteten sich aus, seitdem das Verdienstniveau in der Leiharbeit durch Mindestlöhne und tarifliche Equal-Pay-Vereinbarungen gestützt werde. Der Boom erreiche mittlerweile auch die Industrie. Auch viele Medien berichten über Unternehmen, die Werkverträge als Schlupfloch einsetzen, um Menschen, die für sie arbeiten, nicht selber anzustellen oder als Leiharbeiter zu engagieren - und ihnen besonders wenig bezahlen. Ende April hat der Bundestag eine Anhörung dazu abgehalten.

Was ist ein echter Werkvertrag, wie ihn etwa ein Handwerker mit seinem Auftraggeber schließt? Und was eine illegale Scheinvereinbarung, mit der ein Arbeitsverhältnis oder ein Branchen-Mindestlohn umgangen werden soll? Das ist nach geltender Rechtslage schwer abzugrenzen, zeigt Bernd Waas, Professor für Arbeits- und Bürgerliches Recht an der Universität Frankfurt am Main in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung. Denn in den entsprechenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehe ein "außerordentlich weiter Überschneidungsbereich". Andere europäische Staaten seien bei der juristischen Präzisierung wenigstens einen Schritt weiter, betont der Rechtswissenschaftler und verweist unter anderem auf Regelungen in Belgien, Irland oder den Niederlanden.

Zentrales Kriterium "persönliche Abhängigkeit".

Grundsätzlich stellen Richter, die über die Frage Werk- oder Arbeitsvertrag entscheiden müssen, im In- wie im Ausland nach Waas' Expertise ein Kriterium ins Zentrum ihrer Abwägung: In welchem Maße steht der Ausführende in "persönlicher Abhängigkeit" von seinem Auftraggeber? Hinweise auf eine faktische Arbeitnehmereigenschaft sind danach beispielsweise detaillierte Anweisungen zur Arbeitsleistung durch den Auftraggeber oder dessen Beschäftigte. Auch wenn ein Werk-Auftragnehmer seine Arbeitszeit nicht frei einteilen kann, sei das ein deutliches Indiz dafür, dass er in Wahrheit eher den Status eines Arbeitnehmers hat. Das gleiche gelte für die "Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation", also zum Beispiel die Arbeit in den Geschäftsräumen des Auftraggebers bis hin zur Nutzung von dessen Werkzeug.

Ein Auftragnehmer, der seinem Auftraggeber derart "weisungsunterworfen" und von ihm persönlich abhängig ist, könne nach dem Tenor der Rechtssprechung keine glaubwürdige "Erfolgshaftung" übernehmen, schreibt Waas. Diese Garantie dafür, dass das gelieferte "Werk" auch den vertraglich vereinbarten Ansprüchen genügt, zähle aber zu den entscheidenden Charakteristika eines Werkvertrags.

Kriterienkataloge und Vermutungsregelung.

Auch in anderen europäischen Ländern kommt der Missbrauch von Werkverträgen vor. Einige haben mit Regelungen reagiert, die aus Sicht des Rechtswissenschaftlers die Identifizierung von Schein-Verträgen erleichtern könnten und grundsätzlich auch auf die Verhältnisse in Deutschland übertragbar wären. So gibt es nach Waas' Untersuchung in Belgien und Irland Kriterienkataloge, auf deren Basis Werk- und Arbeitsverhältnisse leichter identifiziert werden können. In Belgien muss der aufgrund eines Werkvertrags Beschäftigte beispielsweise seine Arbeitszeit frei bestimmen und die Arbeit selbst organisieren können. Trifft das nicht zu, geht der Gesetzgeber von einem Arbeitsverhältnis aus. Einen anderen Ansatz verfolgt etwa das niederländische Recht: Wenn eine Person für einen Auftraggeber regelmäßig über mindestens drei Monate lang wöchentlich eine Arbeitsleistung erbringt oder wenigstens 20 Stunden im Monat arbeitet, wird generell ein Arbeitsverhältnis vermutet. Der Auftraggeber kann mit geeigneten Argumenten das Gegenteil beweisen.

"Der europäische Rechtsvergleich zeigt interessante Ansätze, um den Missbrauch von Werkverträgen zu unterbinden", sagt der Rechtswissenschaftler. "Daran könnte sich der deutsche Gesetzgeber orientieren."


Quelle: Böckler Impuls 8/2012

Weitere Informationen zum Werkvertrag finden sie auf der Homepage der Böckler Impuls 8/2012


Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 21.05.2012

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024