Nachrichten-Archiv

Zurück zur Übersicht

Evaluation der Evoluatöre

Erinnert sich noch wer an Michael Lechner? Nein. Der Wirtschaftsforscher Michael Lechner wollte Anfang des Jahrhunderts herausgefunden haben, dass Arbeitslose in Ostdeutschland ohne Weiterbildung bessere Chancen am Arbeitsmarkt besäßen als Leute, die von der Arbeitsagentur bezahlte Kurse besucht hatten. Zu dieser Zeit war er noch Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Zwischenzeitlich hat er seine Forschungsergebnisse revidiert. Das Forschungsdesign hatte wohl nicht so ganz gestimmt. Fehler macht halt jeder mal im Leben.

Doch diese Fehler sind vielen Erwerbslosen teuer zu stehen gekommen. Die Arbeitsagenturen fuhren im Zuge einer beispiellosen Kampagne gegen die öffentlich geförderte berufliche Weiterbildung die Förderung von 700.000 auf 100.000 TeilnehmerInnen zurück. Langfristige Umschulungen, die inzwischen nachweislich die Beschäftigungschancen auf Dauer verbessern, wurden fast vollständig abgeschafft.

Aber der eigenen Zunft hat sein damaliges falsches Forschungsergebnis zu wahren Höhenflügen verholfen. Seither sind die Forschungsinstitute landauf, landab mit unzähligen Evaluationsstudien beschäftigt, um die Wirksamkeit von Arbeitsmarktdienstleistungen zu prüfen. Diese Studien füllen inzwischen meterweise Regale in Instituten und überschwemmen die Festplatten von denjenigen, die sich mit der Arbeitsmarktpolitik beschäftigten.

Inzwischen stellt sich eine neue Frage. Dienen diese Studien ernsthaft einer Verbesserung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen? Oder sind sie eine reine Geldmaschine für Forschungsinstitute, die alles und jedes evaluieren? Ist gar die Evaluierungsbranche, die damals den Niedergang der öffentlich geförderten Weiterbildung zumindest mit verschuldet hat, in ihre Fußstapfen getreten. Es war eben diese Branche, die die Weiterbildung mit dubiosen Forschungsergebnissen in Misskredit gebracht hat. Seit dieser Zeit verdient sie sich an unzähligen Forschungsaufträgen dumm und dusselig.

Was bringen diese Forschungsvorhaben eigentlich noch an wirklich neuen Erkenntnissen? Die Bundesregierung hat gerade wieder zwei neue Studien veröffentlich. Die eine versucht, den „Sachstand“ der bisherigen Ergebnisse zusammen zu fassen. Da heißt es: „Die Förderung der beruflichen Weiterbildung (…) leiste(t) einen Beitrag zur Eingliederung der Geförderten in den Arbeitsmarkt.“ Manchmal käme der zeitverzögert zustande, manchmal wäre er nicht so stark ausgeprägt. Wirklich tolle Ergebnisse. Kurz gefasst sagt die Studie: Bildung hilft, wir wissen nur nicht wem und wann. Toll, sagt da der regelmäßige Frontal-Zuschauer.

Noch doller treibt es eine „Vorstudie zur Evaluation von Fördermaßnahmen für Jugendliche im SGB II und SGB III“. Bei der Qualifizierung von Jugendlichen stellt sie fest: Wenn „die gesteigerte Qualifikation der Jugendlichen zu einer erhöhten erwarteten Produktivität auf Seiten der Unternehmen führt, kann sich die aggregierte Arbeitsnachfrage verändern. Bei gegebenen Löhnen führt wachsende Produktivität zu mehr Beschäftigung. Nach Calmfors et al. (2002) kann eine erhöhte Produktivität jedoch durch wachsende Anspruchslöhne auch zu Lohnsteigerungen führen, die die Beschäftigung hemmen.“

Übersetzt in’s Deutsche soll das heißen: Wer qualifiziert ist, der ist produktiver. Wenn er die höhere Produktivität seiner Arbeitskraft dem Unternehmen kostenlos zur Verfügung stellt, wird er eingestellt. Sollte er jedoch auf die Idee kommen, nach einer erfolgreichen Qualifizierung auch den angemessenen und damit höheren Lohn zu fordern, sieht es schlecht für ihn aus. Dann hemmt dieses Verhalten die Beschäftigung. Warum sich Jugendliche nach dieser Logik überhaupt noch qualifizieren sollten, erfährt der erstaunte Leser nicht.

Aber etwas anderes erfährt der Leser. Die Studie hat eigentlich nicht den Zweck, die Fördermaßnahmen zu evaluieren. Sie ist nur eine Vorstudie. Vor der Evaluierung sozusagen. Darum ist es auch der „Endbericht“ zur Vorstudie für eine Evaluierung von Fördermaßnahmen von Jugendlichen. Die eigentliche Evaluation soll erst noch erfolgen. Dafür entwirft die Studie dann ein über 4 Jahre dauerndes Forschungsdesign. Entworfen haben den Endbericht zur Vorstudie übrigens Infas, Ramboll und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Da war auch mal ein Michael Lechner beschäftigt. Jener Forscher, der mit einem falschen Forschungsdesign die berufliche Weiterbildung von Erwerbslosen in Misskredit gebracht hat.

Ist das alles nur Zufall, oder steckt System dahinter? Geht es den beteiligten Forschungsinstituten wirklich darum, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu verbessern. Oder mit immer neuen Forschungsvorhaben die eigene Klientel in gutbezahlter Beschäftigung zu halten. Sind die beteiligten Forscher gar die Nachfahren der vor 10 Jahren belästerten Floristenschwemme im Osten, die immer wieder als Argument gegen Förderung der beruflichen Weiterbildung ins Feld geführt wurden?

Wo bleibt bei der ganzen Evaluation der beruflichen Weiterbildung eigentlich die Evaluierung der Evaluatöre? Wer schaut eigentlich auf den Nutzen immer neuer Studien? Wer erforscht deren kurz- und langfristigen Wirkungen? Wer sagt uns, ob wir zu viel Floristen im Osten oder zu viele Arbeitsmarktforscher im Westen haben?

Das wäre doch mal eine tolle Aufgabe für den Michael Lechner. Zumindest aber wäre es eine große Anfrage an die Bundesregierung wert. Nur, wer sollte die stellen und letztlich beantworten. Dafür benötigte man mindestens eine Endfassung einer Vorfassung. Oder um es mit Reinhard Mey zu sagen: Man bräuchte mindestens einen Anträg auf Erteilung eines Antragsformulars.


Peter Schulz-Oberschelp
Netzwerk-Weiterbildung


Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 09.02.2011

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024