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Ein-Euro-Jobs verdrängen Weiterbildung und Umschulungen – und vernichten reguläre Arbeitsverhältnisse

Statt Langzeitarbeitslosen sozialversicherungspflichtige und qualifizierende Fördermaßnahmen anzubieten, offeriert die Hamburger Hartz-IV-Behörde den Stützebeziehern nahezu ausschließlich Ein-Euro-Jobs. Einen Ein-Euro-Job sollen die Arge-Mitarbeiter eigentlich nur als letztes Mittel einem Arbeitslosen zumuten. Denn nach dem Gesetz gilt die Maßnahme als "nachrangig". Zugleich muss der Billigjob zusätzlich und gemeinnützig sein. Bisher arbeiten in Hamburg schon 9.000 Langzeitarbeitslose ohne Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerrechte in einem Ein-Euro-Job. Unter anderem machen sie Hausmeisterarbeiten, halten Parks und Kinderspielplätze sauber und helfen in Pflegeheimen und Kitas.

Beispiele für die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze sind beispielsweise der NDR, wo Ein-Euro-Jobber unter anderem Anträge anderer Langzeitarbeitsloser auf Gebührenbefreiung prüfen, oder das Friedhofsamt Hamburg-Bergedorf, "wo schon mehr Ein-Euro-Jobber als Festangestellte arbeiten". Auch der sonntägliche Fischmarkt werde inzwischen von einer "Ein-Euro-Kolonne" gesäubert. Und das Zoologische Institut der Universität, brachte der Gewerkschafter einen weiteren Missbrauch vor, nutze eine Ein-Euro-Jobberin sogar zur Akquise von Sponsorengeldern.

In einer Kleinen Anfrage wollte die Abgeordente der GAL, Gudrun Köncke, wissen, bei welchen Arbeitsplätzen der Kooperationspartner die Bedingung der Gemeinnützigkeit überprüft wurde und welche Ergebnisse darüber vorliegen. Die Antwort des Senat: „Die Auswertung der Nachweise der Kooperationsarbeitsplätze durch die zuständige Behörde ist noch nicht abgeschlossen.“ In ihrer Presseerklärung vom 9. August 2005 erklärt die GAL dazu: „Schwerwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ein-Euro-Jobs in Hamburg hat der wirtschaftspolitische Sprecher der GALBürgerschaftsfraktion Jens Kerstan. 'Der Senat vergibt die Ein-Euro-Jobs blind und ohne Kontrolle', sagt Kerstan. 'Diese unverantwortliche Praxis gefährdet reguläre Arbeitsplätze.' Kerstan fordert den Senat auf, bei allen besetzten Ein-Euro-Jobs zu überprüfen, ob sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.“ Und weiter heißt es: „In Hamburg wird die Prüfungspflicht der Ein-Euro-Jobs ähnlich wie in Berlin auf die Beschäftigungsträger abgewälzt. Die können schon aus ihren ökonomischen Zwängen heraus keine objektive Instanz sein und müssen auf die Angaben ihrer Kooperationspartner vertrauen.“

Das Berliner Sozialgericht hat in dem vergleichbaren Fall am 18. Juli 2005 festgestellt, dass die Behörde die Kriterien vor Maßnahmebeginn überprüfen muss. Andernfalls handele es sich um einen rechtswidrigen Zustand, der den Betroffenen das Recht einräumt, die Maßnahme ohne Sanktionen abzubrechen. Das Urteil stellt fest:

„Eine ganz zentrale Rechtmäßigkeitsvoraussetzung von Arbeitsgelegenheiten nach § 16 Abs. 3 SGB II ist die Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit der auszuführenden Tätigkeiten. Der Leistungsträger hat vor Antritt der Maßnahme sicherzustellen, dass die auszuübenden Tätigkeiten ausschließlich zusätzlich und gemeinnützig sind. Dazu ist zwingend erforderlich, dass die Behörde, nicht der Maßnahmeträger, eindeutig und verbindlich die Arbeitsinhalte, die genaue wöchentliche Arbeitszeit und Arbeitszeitverteilung, die Höhe der MAE sowie die Dauer der Maßnahme festlegt. Fehlt es hieran, kann die wegen Unbestimmtheit bestehende Rechtswidrigkeit der Arbeitsgelegenheit nicht mit späteren Präzisierungen geheilt werden, insbesondere ist es unzulässig, den Maßnahmeträger über die genannten Essentialia der Arbeitsgelegenheit entscheiden zu lassen oder ihm hierbei Spielraum zu geben.“

Mit Schönrechnerei der Arbeitslosenstatistik (Ein-Euro-Jobber fallen aus der Berechnung heraus) werden reguläre Arbeitsverhältnisse gefährdet oder vernichtet. Die zwingend vom Gesetzgeber geforderten Bedingungen für Ein-Euro-Jobs werden offensichtlich von der zuständigen Behörde schlicht missachtet. Wirkliche Angebote zur Qualifizierung, mit denen langfristig Beschäftigungschancen eröffnet würden, werden zusammengestrichen. Roland Kohsiek, Arbeitsmarktexperte beim Hamburger Landesverband der Gewerkschaft ver.di hat auf diese verfehlte Politik des Hamburger Senats aufmerksam gemacht und fordert: "Wirtschaftssenator Uldall muß seine Politik korrigieren."

Quelle: Eigenbericht netzwerk-weiterbildung


Sie können die Presseerklärung der GAL zur Politik des Hamburger Senats und das Urteil des Berliner Sozialgerichts hier herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024