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Hartz – Reformen am Arbeitsmarkt Was bedeuten sie für Frauen und für Männer ?

Dr. Hella Baumeister Arbeitnehmerkammer Bremen

Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt und Gender-Mainstreaming – eine schwierige Beziehung?!

I. „Gerecht ist, was der Gleichstellung der Geschlechter dient.“ Das klingt gut – die Wirk-lichkeit ist jedoch leider eine andere. Die „größte Arbeitsmarktreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder), hat insgesamt die bestehenden Ungerechtigkeiten bei der Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbssystem und in der Arbeitsmarktpolitik nicht verringert, sondern im Gegenteil eher verschärft.

Das verwundert: Denn, mit dem Amsterdamer Vertrag Art. 3 ist Gender Mainstreaming (GM) in allen Politikbereichen für die Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union (EU) verpflichtend. GM bedeutet bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Das Prinzip GM setzt grundlegend an, nicht nur bei denjenigen die ohnehin für Frauenpolitik zuständig sind, sondern bei allen, die für (politische) Entscheidungen verantwortlich sind, wobei kein Bereich von vornherein ausgeklammert werden soll.

II. Erinnern wir uns: Ausgehend von dem sogenannten Vermittlungsskandal bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden im Sommer 2002 von der sogenannten Hartz-Kommission Vorstellungen und Konzepte zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik vorgelegt.

Die Berücksichtigung des Prinzips GM bei allen gesellschaftlichen Vorhaben ist der Anspruch. Und die Realität? Schon bei der Besetzung der sogenannten Hartz-Kommission wurde dies nicht beachtet. Unter den 15 Mitgliedern der Kommission war Isolde Kunkel-Weber, (Ver.di), die einzige Frau. Der Auftrag an die Kommission enthielt zudem keine Verpflichtung, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern angemessen zu berücksichtigen. Im Ergebnis liegt dem gesamten Bericht der Kommission ein traditionelles Frauen- und Familienbild zugrunde, dem die Lebensrealität nicht (mehr) entspricht. Es wird der Eindruck erweckt, Männer seien durchweg die Ernährer, Frauen die „Zuverdienerinnen“. Zunächst war sogar explizit von „Familienvätern“ die Rede, dieser Fehler wurde dann später sprachlich bereinigt - nicht jedoch inhaltlich.

Als Reaktion auf massive Proteste von Frauenorganisationen, Teilen der Gewerkschaften und Parteien wurde ganz zum Schluss dem Endbericht der Hartz-Kommission eine Präambel zur Bedeutung von GM vorangestellt:

„Aktivierende Arbeitsmarktpolitik hat (...) eine besondere Aufgabe, indem sie nicht nur unterschiedlich hohen Risiken, arbeitslos zu werden oder zu bleiben, begegnet. Sie befähigt zum Anpassen an den Strukturwandel, fördert variable Arbeitsverhältnisse und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sichert die Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsphasen ab und ermöglicht Frauen wie Männern eine eigenständige Existenzsicherung. Dies ist bei der anschließenden Umsetzung der vorliegenden Vorschläge zu beachten. Alle weiteren Schritte zur Konkretisierung müssen vor diesem Hintergrund detailliert überprüft werden, inwieweit sie dem Postulat der Gleichstellung Rechnung tragen bzw. direkt oder indirekt Benachteiligungen fortschreiben oder neue entstehen lassen.“
(Bericht der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, August 2002)

Eine schöne Absichtserklärung – leider durchweg ohne Wirkung. Das wird nicht nur beim ersten Teil der Hartz-Reformen (Hartz I/ Hartz II) deutlich, der bereits seit 1.1.2003 bzw. 1.4.2003 in Kraft ist, sondern auch am zweiten Teil der Reform (Hartz III/ Hartz IV einschl. Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt), die ab 1.1.2004 bzw. 2005 gilt.

Die Nichtbeachtung des Prinzips GM zeigte sich bereits im Verfahren der Gesetzgebung. Bei der öffentlichen Anhörung der ersten beiden Gesetzesvorhaben (Hartz I und II) wurde nicht ein einziger Frauenverband eingeladen, wohl jedoch z. B. der Deutsche Beamtenbund. Daran haben auch die lautstarken Proteste im Vorfeld z. B. vom Deutschen Frauenrat, Deutschen Juristinnenbund, BAG Frauen, nichts geändert. Die Nichtberücksichtigung der Bewertung aus Frauensicht scheint kein Zufall gewesen zu sein: Auch bei dem Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (Stichwort: Verkürzung der Anspruchsdauer ALG; Veränderung Kündigungsschutz) fand wiederum keine Anhörung von Frauenverbänden statt. So ist es nur konsequent, dass bei den Referentenentwürfen für Hartz III und Hartz IV ausgeführt wurde: „ Das Gesetz hat keinerlei gleichstellungspolitische Bedeutung“ (Gesetzesbegründung, S. 181). GM wurde eindeutig nicht berücksichtigt. Man besann sich schließlich eines Besseren. Im Kabinettsentwurf von Hartz III und IV wurde eingefügt:

„Das Gesetz berücksichtigt im Sinne des Gender-Mainstreamings die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Frauen und Männern. Sowie durch die Vereinfachung des Rechts Ressourcen freigesetzt werden, kommen diese gerade Frauen zugute, deren Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit künftig besser unterstützt werden kann. Darüber hinaus werden Regelungen, die bisher zu einer faktischen Benachteiligung geführt haben, abgeschafft. Auf diese Art und Weise wird das neue Recht zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt beitragen.“ (Kabinettsvorlage, S. 396).

Auch diese Äußerungen scheinen jedoch eher (wohlgemeinte) Absichtserklärungen zu sein als Ergebnis einer Gender-Überprüfung der Regeln.


Dieser Ausschnitt aus dem ersten Referat der Tagung macht deutlich: Wenn es ernst wird, kommt der Familienernährer zurück und Gender-Mainstreaming wird, obwohl verbal hochgelobt, ausgeblendet. Die gesammelten Referate machen deutlich: Wieder einmal sind Frauen, auch bei rot-grünen Reformen, die Benachteiligten.

Sie können die Tagungsmaterialien der Arbeitnehmerkammer Bremen hier als pdf-Datei herunterladen.



Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 06.07.2004

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024