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Beste Bildung für eine demokratische Arbeitswelt 4.0

Weiterbildung nicht auf Berufsbildung reduzieren



Beste Bildung für eine demokratische Arbeitswelt 4.0

Die Ausdauer und der Mut von Bildungswissenschaftlern, Erziehungsexperten und Spezialisten der beruflichen Ausbildung sind zu bewundern. Seit Jahrzehnten kämpfen Sie um eine Reform, seit den PISA-Studien sogar mit ungewohnter Einigkeit. Doch keine politische Konstellation in Bund und Ländern hat das Thema wirklich vorangebracht.

Außer in Wahlkämpfen. Dort gehört das Thema Bildung in noch jeden Text und jede Rede. Seit Jahrzehnten wecken Parteien im Werben um die Gunst der Wählerinnen und Wähler immer neue Hoffnungen. Ihre Enttäuschung lässt dann meist nicht lange auf sich warten. Mit dem nächsten Beschluss eines Haushaltes schmelzen Bildungsversprechen zusammen.

Das mag auch darin liegen, dass Bildung zum größten Teil Sache der Länder ist. Damit gibt es hierzulande (mindestens) 16 bildungspolitische Arenen. Und es gibt Institutionen, mit deren Hilfe sich die Akteure aus all diesen Ländern abstimmen. Es wurden Expertengremien beauftragt, die Durchbrüche erzielen sollten. Und es es war einmal eine vieles versprechende Gipfelerklärung.

Sie alle haben etwas bewirkt. Gemessen an der Tatsache, dass unser Land vor mehreren gleichzeitigen tiefgreifenden Umbrüchen steht, reicht es nicht, etwas mehr Geld ins System zu geben.

Das Land steht vor einer tiefen Transformation. Technologische Neuerungen und politische Innovationsfestlegungen in Verbindung mit der schnellen Alterung werden Wirtschaft und Gesellschaft, Arbeit und das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt neu definieren.

Deswegen braucht es nicht nur mehr Geld, sondern eine qualitative Erneuerung des Bildungssystems.

Die wäre auch noch nicht geschaffen, wenn den Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Technik ein höherer Stellenwert in den Stundenplänen eingerichtet werden würde. Das System ist unterfinanziert. Den Mangel an einer Stelle vergrößern, um an anderer Stelle Lücken zu schließen, ist kein bildungspolitisches Konzept.

An den Kindertagesstätten und Schulen herrscht Personalnotstand und noch größerer steht bevor. Die Lehrerinnen und Lehrer, die das ausbaden müssen, wirken oft erschöpft und unzufrieden. Wie das werden soll, wenn demnächst die starke Generation von Lehrern in den Ruhestand gehen, lässt sich nicht einmal erahnen.

In Deutschland leben 54 Millionen Menschen zwischen 20 und 60 Jahren. 45 Millionen davon sind erwerbstätig. Da liegt es auf der Hand, dass Familien auf ein umfassendes Ganztagschulangebot zählen können müssen. Familien, in denen beide arbeiten und die Kinder zu Hause sind, sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Damit wird auch klar, dass es mehr und bessere und besser bezahlte Angebote für die Jüngsten braucht - der wohl wertvollste Schatz in einer alternden Gesellschaft.

Das erklärt auch, weshalb für so viele Frauen und Männer in diesem Land das Thema Bildung an erster Stelle steht. Ähnlich wie die Wohnungsnot in den Städten erleben sie den Mangel eines Bildungssystems, das nicht mit den Aufgaben der Zeit wachsen konnte, sozusagen am eigenen Leib.

Nicht nur Kinder werden unzureichend betreut und unterrichtet. Auch die Erwachsenen selbst erkennen, dass die tiefe Transformation von ihnen mehr Wissen und Können abverlangt. Sie fühlen sich nicht gut vorbereitet auf das, was kommt.

Die Gesellschaft hat als Ganze noch keine Antworten darauf. Die Sozialpartner in der Industrie haben es in bemerkenswerter Geschwindigkeit geschafft, traditionelle Berufe auf den Stand der Zu¬kunft zu bringen.

Bundesarbeitsminister Heil hat jetzt damit begonnen, die Bundesarbeitsagentur, der in manchen Regionen langsam die Kundschaft ausgeht, auf Qualifikation zu trimmen.

Wie die Pilotprojekte zeigen, haben Arbeitneh¬mer keine Berührungsangst mit der Agentur. Sie wollen beraten sein. Aber es fehlt neben Beratung ein System an Zertifikaten, an Teilabschlüssen, mit denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach einer abgeschlossenen Qualifizierung etwas anfangen können.


Weiterbildung nicht auf Berufsbildung reduzieren

Statt „Die Zeit der Wahl ist jetzt.“ Schon jetzt wird es höchste Zeit, die politische Auseinandersetzung zu führen. Weiterbildung darf nicht länger auf das Ziel beruflicher Qualifikation eingeengt werden. Das Erlernen fremder Sprachen und die Auseinandersetzung mit Literatur können hilfreich für die Welt 4.0 sein. Denn in Zeiten der Digitalisierung geht es selbst in der Produktion immer mehr um Kommunikation, Erkennen von Mustern, Interpretation und Weitergabe von Informationen. Qualifizierung und Erwachsenenbildung können heute vielleicht besser denn je zu einer 4. Säule verbunden werden.

An manchen Orten Deutschlands herrscht Aufbruchstimmung: Neuerdings entstehen völlig unterschiedliche „Bildungshäuser“ und neue Lernorte, in denen Menschen zusammenkommen, um zu lernen, gemeinsame Erfahrungen zu machen oder einfach etwas auszuprobieren, wie 3D-Druck oder Exoskelette (Muuß-Merholz, 2018).

Die Parteien bereiten sich auf die kommenden Bundestagswahlen vor. Das werden nicht irgendwelche Wahlen werden. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob die blau-braune AfD mit ihrer rückwärtsgewandten Politik (auch im Bildungssektor) als Sperrminorität im Bundestag etablieren kann und was dann die anderen Parteien daraus machen. Oder gelingen - weil die Sprach- und Orientierungslosigkeit der AfD offensichtlich wird - wie¬der klare Profile und Zukunftsentwürfe an Gewicht?

Vielfach wird die AfD als Protestpartei beschrieben. Sie würde gewählt, weil das politische Establishment nicht in der Lage sei, die soziale Lage im Land zu verbessern.

Demzufolge muss die politische Auseinandersetzung also darum gehen, die demokratischen Parteien zu fordern und Lösungen für drängende Probleme wie die fehlenden Angebote der Säulen 1 bis 4 im Bildungssektor einzufordern

Gewerkschaften und Betriebsräte können dazu Bündnisse initiieren. Die Auseinandersetzung hat in jeder Stadt und in jedem Landkreis seine Brennpunkte. Mal sind es die fehlenden Ganztagsangebote für Schüler. Dann sind es schlecht ausgestattete Berufsschulen, ausgehungerte Volkshochschulen. Von mangelnder Transparenz und Unterfinanzierung der beruflichen Weiterbildung ganz zu schweigen.

Im Bündnis mit Lehrenden, Erzieherinnen und Erziehern, Dozenten, wissenschaftlichen Lehrkräften und Künstlern, mit Eltern, Schülern und Studierenden, Betriebsräten und ganz normalen Arbeitnehmern ließe sich ein machtvolles Bündnis schmieden. Von den Parteien Klarheit einfordern heißt auch, den Antidemokraten vom rechten Rand den Boden zu entziehen, um dem sie die Saat von Hass, Neid und Missgunst säen wollen.

Wenn allerdings weiter gemurkelt wird wie bisher, wird es am Ende dem Zufall, der Gunst von Arbeitgebern und sehr viel eisernem Willen abhängen, wer von der tiefen Transformation profitiert. Und wer verliert.

Zufall, Gunst und Selbstbeschränkung sind keine demokratischen Prinzipien. Die Einteilung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer auch nicht.

Die demokratische Gesellschaft baut auf Transparenz und gleichem Zugang zu bester Bildung ein Leben lang. Es geht um einen wichtigen Aspekt sozialer Gerechtigkeit: Um die Anerkennung von Leistung, Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Der Tag der Wahl wird vom Bundeswahlleiter festgesetzt. Damit Bildung bei Wahlen von den Kommunen über die Länder und den Bund aber auch in den Betrieben endlich ernst genommen wird, muss die politische Auseinandersetzung auf jeder dieser Ebenen jetzt beginnen und darf nicht mehr zurück gestellt werden. Die Sache mit der besten Bildung für alle duldet im Interesse einer demokratischen Moderne keinen Aufschub mehr.



Quelle: Hilmar Höhn: Beste Bildung für eine demokratische Arbeitswelt 4.0, Digitalisierung, Energiewende und Elektromobilität verändern Arbeit und Leben tiefgreifend. Ob Arbeitnehmer zu den Gewinnern zählen, ist nicht ausgemacht. Eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg: beste Bildung. Für alle. Ein Leben lang., Dossier Nr. 2 2019, Herausgegeben von der Hans-Böckler-Stiftung


Das Dossier können sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Digitalisierung, Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.12.2019