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Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Wertorientierungen des Grundgesetzes und gesellschaftlicher Wandel

Seit 70 bzw. 30 Jahren bildet das Grundgesetz die Basis für die demokratische Verfasstheit Deutschlands. Als Provisorium gedacht, hat es sich längst zum grundlegenden Regelwerk entwickelt. Bislang ist es über 60-mal verändert worden. Viele Veränderungen spiegeln tiefgreifende gesellschaftliche und politische Entwicklungen wider wie z. B. die Einführung der Bundeswehr, die Notstandsgesetze, die Einschränkung des Asylrechts, die Wiedervereinigung, die Föderalismusreform oder die Weiterentwicklung des EU-Rechtsrahmens.

Die unteilbaren Grund- und Menschenrechte in den ersten 19 Artikeln stellen zusammen mit Artikel 20 das Fundament und das zentrale Anliegen des Grundgesetzes dar. Sie sollten Bezugspunkt allen politischen Handelns, die damit verbundenen Werte grundlegend für das demokratische Zusammenleben sein. Es stellen sich aktuell jedoch die Fragen, wie verbindend diese Werte noch sind und was getan werden muss, um die Tragfähigkeit dieser Grundlage angesichts tiefgreifender Veränderungen zu erhalten. Politisch Verantwortliche, die Träger und Einrichtungen der politischen Bildung und insbesondere alle Bürger*innen stehen vor der großen Aufgabe, die Grundwerte des Grundgesetzes zu stärken, weiterzuentwickeln und im Alltag aller Menschen zu verankern.


Wandlungsprozesse und gesellschaftliche Herausforderungen

Im Alltag kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Menschen- bzw. Grundrechte in Widerspruch zueinander oder zu gesellschaftlichen Entwicklungen stehen. Daraus ergeben sich Spannungsverhältnisse, die Abwägungsprozesse und den Einsatz rechtsstaatlicher Mittel erfordern. Aktuell geht es wesentlich um folgende Spannungsverhältnisse:

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit

Die Freiheit der Bürger*innen ist konstitutiv für demokratisch verfasste Staaten. Gleichzeitig haben die staatlichen Institutionen die Aufgabe, die Bürger*innen zu schützen. Dieser Auftrag und das legitime Verlangen nach Sicherheit dürfen nicht dazu führen, dass Grundrechte mit einem Versprechen von mehr Sicherheit ausgehöhlt werden.

Das Spannungsverhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und der Vorstellung eines homogenen Volkes

Im Grundgesetz ist Deutschsein mit dem Besitz der Staatsbürgerschaft verbunden. Wir erleben aktuell aber eine Rückkehr zu längst überholt geglaubten Vorstellungen eines homogen gedachten Volkes und eines entsprechenden „Volkswillens“, die Menschen auf der Basis von Statuszuschreibungen bewusst ausschließen.

Auf der europäischen Ebene und auch weltweit ist eine neue Hinwendung zu Nationalismus und Eigeninteresse auch auf Kosten anderer Staaten und/oder gesellschaftlicher Gruppen zu beobachten sowie eine Abkehr von Werten wie Solidarität, Verständigung und Kooperation.

Das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaatlichkeit und dem vermeintlichen „Volkswillen“

Im Namen des „gesunden Menschenverstandes“ oder des „Volkswillens“ werden Politiker*innen, staatliche Institutionen und Gerichte angefeindet. Ihnen wird das Recht abgesprochen, den „wirklichen“ Willen des Volkes zu vertreten bzw. diesem zuwider zu handeln. Mit dieser Begründung wurden z. B. in Polen, Ungarn oder der Türkei der Rechtsstaat umgebaut, die Unabhängigkeit der Justiz stark eingeschränkt, wurden die Grundrechte beschnitten und der Rechtsfrieden gefährdet. Die Hauptgefahr scheint der Demokratie aktuell dadurch zu drohen, dass sie von innen umgeformt und eingeschränkt wird.

Das Spannungsverhältnis zwischen den Werthaltungen des Grundgesetzes und dem gelebten Alltag

Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, das Recht auf freie Entfaltung, das Verbot von Benachteiligung oder die Religionsfreiheit sind Grundrechte, die wie alle anderen Grundrechte für jeden Staatsbürger bzw. jede Staatsbürgerin gelten. Sie stecken einen normativen Rahmen ab, der mit Werten wie Gleichberechtigung, Minderheitenschutz oder Gerechtigkeit verbunden ist. Im täglichen Miteinander, aber auch auf institutioneller und struktureller Ebene lässt sich jedoch oft genug Gegenteiliges erleben: Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen anderer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder anderen Geschlechts.

Das Spannungsverhältnis zwischen Digitalisierung und demokratischer Meinungsbildung

Der digitale Raum ist ein politischer Raum und der politische Raum ein digitaler Raum. Durch Digitalisierung und Medialisierung vollziehen sich grundlegende Veränderungen im Bereich von Öffentlichkeit und Kommunikation. Die Digitalisierung birgt große Chancen für die Beteiligung und Mitbestimmung als Element einer digitalen Zivilgesellschaft. Sie setzt voraus, dass im Zuge der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse alle Menschen Zugang zu digitalen Medien haben, wobei Zugang sowohl die technische Seite meint als auch den Erwerb der entsprechenden Kompetenzen. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, Regeln für das Miteinander im digitalen Zeitalter zu entwickeln, um Manipulationen vorzubeugen und der Destabilisierung von Demokratie entgegenzuwirken.


Herausforderungen für Politik, politische Bildung und Bürger*innen

Vor dem Hintergrund der genannten Spannungsverhältnisse ergeben sich Aufgaben, die die Verantwortlichen in allen politischen Bereichen, die Träger und Einrichtungen der politischen Bildung und nicht zuletzt alle Bürger*innen in besonderer Weise herausfordern.

Politisch Verantwortliche sind aufgerufen, ihre Handlungsmaximen konsequent an den Grund- und Menschenrechten auszurichten und parteipolitische Handlungslogiken dem unterzuordnen. Der Gefahr der Aushöhlung der Demokratie von innen heraus sind Strategien entgegenzusetzen, die demokratische Institutionen, Gerichte und zivilgesellschaftliche Akteure schützen und stärken und die Demokratie als Staats-, Gesellschafts- und Lebensform nachhaltig fördern.

Aufgabe der Politik, der Zivilgesellschaft und der politischen Bildung ist es, die Grundrechte zu verteidigen, zu ihrer Sicherung und Weiterentwicklung sowie zu ihrer Vermittlung beizutragen. Die mit dem Grundgesetz verbundenen Wertorientierungen müssen auch in den Alltag der Menschen eingebunden und mit Leben gefüllt werden. Die Träger politischer Bildung leisten ihren Beitrag durch die Vermittlung von Kompetenzen für das demokratische Miteinander. Dazu gehört es zu lernen, Konflikte auszuhalten und Kompromisse eingehen zu können. Demokratielernen ist auch das Einüben einer positiven Streitkultur.

Politische Bildung ist grundlegend für die Gestaltung eines so verstandenen demokratischen Miteinanders. Sie muss gefördert und allen Menschen zugänglich gemacht werden. Den normativen Rahmen dafür bietet das Grundgesetz.


Beschlossen von der Mitgliederversammlung des AdB am 28.11.2018, Goslar


Quelle: Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V., AdB-Stellungnahme zum Jahresthema 2019


Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung, Volkshochschule
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 18.12.2018