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Eckpunkte für eine qualitätsorientierte und sozial ausgewogene Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen

Positionspapier Von Gewerkschaften und Verbänden

Eckpunkte für eine qualitätsorientierte und sozial ausgewogene Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen

Vorschläge für eine sachgerechte und angemessene Vergabereform in Umsetzung der EU RL 2014/24



Verfasst von:
  • Bundesverband der Träger beruflicher Bildung – BBB
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit – bag arbeit
  • DGB-Bundesvorstand
  • GEW
  • ver.di

Gegenstand dieses Eckpunktepapiers sind diejenigen Arbeitsmarktdienstleistungen,
die dem Vergaberecht unterliegen.

I. Ausgangslage

Arbeitsmarktdienstleistungen werden seit Ende der 90er Jahre nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) öffentlich ausgeschrieben. Die Änderung der gesetzlichen Anforderungen, gerichtliche Entscheidungen und Entscheidungen der Vergabekammer führten dazu, dass seit 2004 ein schädlicher Wettbewerb eingesetzt hat, der sozialstaatlich nicht mehr vertretbar ist. Weiter verschärft wurde die Situation durch die Trennung in zwei Rechtskreise sowie die Vergabepraxis von Arbeitsagenturen und Jobcentern.
  • Die von den Auftraggebern vorgegebenen kurzen Vertragslaufzeiten führen zu einem ständigen Trägerwechsel. Dieser macht jedoch die fachlich notwendige pädagogische Kontinuität in der Betreuung der Zielgruppen unmöglich, verhindert eine rechtskreisübergreifende Finanzierungskonstruktion und nimmt den Anbietern jegliche Planungssicherheit.

  • Aus dem Bedürfnis nach einer gerichtsfesten Verfahrensgestaltung heraus haben die Auftraggeber die Arbeitsmarktdienstleistungen immer weiter standardisiert. Obwohl Leistungen örtlich ausgeschrieben werden, kommen für einen vorgegebenen Katalog von Maßnahmen deutschlandweit einheitliche Vergabeunterlagen zum Einsatz; ungeachtet der regionalen Unterschiede sind die Auftraggeber von Aachen bis Dresden, von Flensburg bis Garmisch gehalten, identische Leistungsbeschreibungen und Bewertungsmaßstäbe zu verwenden. Dies geht sowohl an den Bedarfen der Zielgruppen als auch an den Zielsetzungen der Leistungen vorbei, Menschen mit individuellen Hilfen ins Arbeitsleben einzugliedern.

  • Die Systematik der Angebotswertung führt zu einem Preis- und Verdrängungswettbewerb, der in dieser Schärfe den Zielsetzungen sowohl des Sozial- als auch des Vergaberechts zuwiderläuft. Opfer dieses nach wie vor anhaltenden Preisdrucks sind neben den Maßnahmeteilnehmern die Beschäftigten in der Arbeitsmarktdienstleistungsbranche. Die Arbeitsbedingungen sind zunehmend prekär geworden. Vollausgebildete Pädagogen, Sozialpädagogen zum Beispiel, leisten ihre hoch qualifizierte Arbeit zu Gehältern, die teilweise denen von ungelernten Hilfsarbeitern in der Industrie entsprechen.

Diese Entwicklungen waren so gravierend, dass die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag Mindestlöhne für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Sozialgesetzbuch vereinbart haben, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im August 2012 für allgemeinverbindlich erklärt hat. Dieser Mindestlohn soll den Preis- und damit Lohnverfall bei den Beschäftigten aufhalten und für fairen Wettbewerb sorgen. Er kann aber unter anderem wegen seines begrenzten Anwendungsbereichs nicht alle Probleme lösen.

II. Stand der Debatte

Im April 2014 ist die neue EU-Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe in Kraft getreten, die die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Jahren in deutsches Recht umsetzen muss. Darin erkennt die EU erstmals die Besonderheiten von sozialen Dienstleistungen an und schafft Spielraum dafür, den Besonderheiten personenbezogener sozialer Dienstleistungen etwa im Hinblick auf die gebotene Zugänglichkeit und Bedarfe unterschiedlicher Nutzergruppen Rechnung zu tragen. Zudem erlaubt die Richtlinie, bei der Zuschlagsentscheidung neben dem Preis- und der Angebotskonzeption auch andere Kriterien zu berücksichtigen. Diese Möglichkeiten gilt es zu nutzen, um die beschriebenen Fehlentwicklungen zu stoppen. Um die Ziele der Richtlinie zu erreichen und eine sachgerechte Vergabe zu ermöglichen, muss die nun anstehende Vergaberechtsreform auch die Erfahrungen der von diesen Ausschreibungen Betroffenen – der Anbieter, Teilnehmenden und Beschäftigten – angemessen berücksichtigen.

Die Auftraggeber müssen ihre Beschaffungen darauf ausrichten, der Zielgruppe hochwertige Dienstleistungen mit einer angemessenen Maßnahmequalität zur Verfügung zu stellen. Ein unverzichtbarer Faktor dieser Dienstleistungen ist die engagierte, motivierte und kontinuierliche pädagogische Arbeit mit den Zielgruppen. Diese hängt maßgeblich davon ab, dass sich die Arbeitsbedingungen der Aus- und Weiterbildungsbranche für Festangestellte ebenso wie für freie Mitarbeiter verbessern und stabilisieren.

III. Eckpunkte für eine qualitätsorientierte und sozial ausgewogene Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen

In Artikel 74 ff fordert die neue Richtlinie für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen ein vereinfachtes Verfahren, das auf die Besonderheiten dieses Wirtschaftszweiges Rücksicht nimmt. Deswegen muss es im nationalen Recht insbesondere für Arbeitsmarktdienstleistungen eigenständige, ausdifferenzierte Regelungen geben, die den Besonderheiten dieser Dienstleistungen Rechnung tragen. Diese Vergaberegelungen müssen unterhalb und oberhalb des Schwellenwertes gleichermaßen gelten (so z. B. die Gewährleistungen des vergaberechtlichen Rechtsschutzes unabhängig vom Auftragsvolumen). Ansonsten kommt es zu der absurden Situation, dass für Vergaben ohne Binnenmarktrelevanz ein strengeres Vergaberecht gilt als für die europaweit auszuschreibenden bieterschützenden Ausschreibungen.

Aus den Erfahrungen mit dem bisherigen Vergaberecht und der Vergabepraxis der Bundesagentur und der Jobcenter werden folgende fünf Eckpunkte für die Gestaltung von Vergabeverfahren empfohlen.
  1. Gemäß Artikel 18 Abs. 2 müssen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaftsteilnehmer die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, „die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder internationale Vorschriften festgelegt sind“. Wir fordern, bei der Eignung der Bieter zukünftig verbindlich zu prüfen, ob diese Anforderungen eingehalten wurden.

  2. Um die fachliche Weiterentwicklung berücksichtigen und aufgreifen zu können, müssen die Auftraggeber die Expertise der Bieterseite wie auch der örtlichen Leistungsträger in die Ausgestaltung der Leistungsbeschreibungen einbeziehen. Die unterschiedlichen Verfahrensarten des Vergaberechts (offenes Verfahren, nicht offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft) sollen deshalb gleichberechtigt nebeneinander stehen. Der Anwendungsbereich des nicht offenen Verfahrens soll etwa eröffnet werden, um kurzfristig auftretende bzw. bekannt gewordene Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer zu decken. In dialogischen Vergabeverfahren können die fachliche Qualifikation und Erfahrung der Bieter, wie auch die Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer besser als in den einseitig vom Auftraggeber gesteuerten Verfahren in die Auftragsformulierung einfließen. Die Auftraggeber müssen die jeweils gewählte Verfahrensart begründen.

  3. Tariftreue und die Einhaltung von Qualitätsstandards sind Gesichtspunkte der Zuverlässigkeit und Eignung eines Bieters. Sie dürfen nicht im Rahmen der Zuschlagsentscheidung zum Wettbewerbshindernis werden. Um eine Refinanzierung der vom Bieter nicht beeinflussbaren Gestehungskosten wie etwa tariflich vereinbarter Lohnkosten oder von Qualitätsstandards (z. B. Kosten für den barrierefreien Umbau eines Standorts) im Vergabeprozess angemessen sicherstellen zu können, darf sich die Zuschlagserteilung nicht allein nach dem Preis richten. Vielmehr bedarf es eines Kostenkorridors und einer Kostenuntergrenze. Die konsequente Durchsetzung einer solchen Kostenuntergrenze schafft im Vorfeld der eigentlichen Angebotsbewertung einen weiteren Kontrollgesichtspunkt, der im Interesse der Zielgruppen ebenso wie der Leistungsträger den Ausschluss ungeeigneter Kandidaten von der Angebotswertung sicherstellt.

  4. Die Vergabeverordnung ermöglicht bereits jetzt in § 4 Abs. 2 VgV, bei der Zuschlagserteilung einen besonders qualifizierten Personaleinsatz zu berücksichtigen. Bei der Umsetzung der Richtlinie muss die Einschränkung entfallen, die das Gewicht dieses Wertungsgesichtspunkts auf maximal 25 Prozent der Gesamtwertung begrenzt. Eine Bewertung der Erfolge der bisher durchgeführten Maßnahmen kann nur dann ein Kriterium sein, wenn die Kriterien für den Erfolg und die Qualität sachgerecht und rechtssicher definiert werden. Derzeit fehlt es (noch) an einem sachgerechten System zur Messung des Erfolgs und der Qualität sozialer Dienstleistungen.

    Über die von der Bundesregierung und dem Gesetzgeber zu regelnde Umsetzung hinaus, müssen auch die Auftraggeber diesen von der Richtlinie eingeleiteten Paradigmenwechsel mitvollziehen und ihrer Verantwortung für das Gelingen der Eingliederungsprozesse und der Stabilität der Beschäftigung besser als bisher gerecht werden.

  5. Gegenstand der Ausschreibung müssen langfristige Rahmenverträge mit den Anbietern sein. Zu berücksichtigen sind die Einbindung des Anbieters in die Strukturen des örtlichen und regionalen Arbeitsmarktes sowie ein pädagogisches- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept. Nur so lassen sich Kontinuität ermöglichen und die regionale Eingebundenheit der Bieter in Netzwerke etwa von Kammern, Unternehmen, Berufsschulen, Jugendhilfe, Jobcentern etc. gewährleisten. Solche Rahmenverträge eröffnen die Möglichkeit, nicht mehr Verträge auf einzelne Maßnahmen zuzuschneiden , sondern sie lassen Raum für eine flexible Gestaltung des Förderprozesses und die Vernetzung mit dem ggf. vorhandenen regionalen Übergangsmanagement durch den Anbieter.

Diese Eckpunkte betrachten wir als Diskussionsgrundlage in einem konstruktiven Diskurs zwischen dem Gesetzgeber und den als Auftraggebern und Anbietern beteiligten Gruppen mit dem Ziel, die von der Richtlinie 2014/24/EU eröffneten Möglichkeiten und Gestaltungsspielräumen im Sinne der Zielgruppen und auch der Mitarbeitenden bei den Anbietern bestmöglich zu nutzen.



Sie können dieses Positionspapier hier auch als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 07.10.2014