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Die BA bekommt wieder mehr Macht

biwifo: Vor gut zehn Jahren geriet die damalige Bundesanstalt für Arbeit (heute Bundesagentur für Arbeit [BA]) in die Kritik. Sie sei in punkto Weiterbildung unwirtschaftlich und uneffektiv. Ein stärkerer Wettbewerb wurde als Heilmittel verordnet. Wie beurteilen Sie die damals eingeleiteten Änderungen?

Hermann Nehls: Der Vorwurf lautete, dass die damalige Bundesanstalt für Arbeit direkt mit den Bildungsträgern den Inhalt und die Finanzierung der Kurse verhandelte. Die Kritik war berechtigt, weil es keine klaren Kriterien gab, vieles willkürlich passierte und keine Transparenz über die Verfahren herrschte. Gewerkschaften oder andere Akteure konnten auf die Entscheidung zwischen Trägern und Vermittlerinnen und Vermittlern in der BA keinen Einfluss nehmen. Inzwischen sind die Verfahren transparenter geworden, das heißt aber nicht, dass wir damit vollauf zufrieden sind.

biwifo: Wie läuft das heute?

Hermann Nehls: Man muss unterscheiden zwischen Maßnahmen, die ausgeschrieben werden und Maßnahmen, die über Bildungsgutscheine vergeben werden. Die Kritik richtet sich vor allem auf Maßnahmen, die ausgeschrieben werden. Hier sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf, weil der Kostendruck zu untragbaren Zuständen geführt hat. Deswegen brauchen wir hier dringend Mindestlöhne, die für alle verbindlich sind. Das Gutscheinverfahren hingegen hat sich grundsätzlich bewährt. Es gibt klare Qualitätskriterien, die überwacht werden von einem Beirat, dem Vertreterinnen und Vertreter der Ministerien, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände angehören. Die Anerkennungsstelle bei der BA hat etwa 30 fachkundige Stellen wie zum Beispiel Certqua, den TÜV oder Zert-IT benannt. Diese haben die Aufgabe nach den Vorgaben der Rechtsverordnung Maßnahmen zu zertifizieren, also ihre Qualität festzulegen und zu überprüfen. Wenn es Hinweise gibt, dass irgendetwas schief läuft, ist es Sache der Anerkennungsstelle oder bei grundsätzlichen Fragen auch des Beirats, dem nachzugehen.

biwifo: Und hat das die Qualität verbessert?

Hermann Nehls: Für die Gutscheinmaßnahmen würde ich dies so sehen. kontrollierbare Kriterien eingehalten werden. Allerdings ist es für die Arbeitslosen oft schwer, sich einen Überblick über das Angebot zu verschaffen. Wir würden uns wünschen, wenn hier mehr unabhängige Beratung möglich wäre.

biwifo: Das klingt ja erstaunlich positiv.

Hermann Nehls: Noch besser für die Qualitätssicherung wäre es gewesen, ein System zu etablieren, bei dem auch die Anerkennungsstelle unabhängig wäre von der Geschäftspolitik der BA. Daran ändert auch die Neufassung der Rechtsverordnung nichts, die zum 1. April im Zuge der Instrumentenreform der BA in Kraft tritt. Im Gegenteil: Die BA bekommt einen Vorbehalt, was die Kostensätze angeht. Das heißt konkret: Die Maßnahmen müssen kalkuliert werden auf der Grundlage des bundesweiten durchschnittlichen Kostensatzes (BDKS), der immer im Nachhinein erhoben wird. In der Vergangenheit waren begründete Abweichungen möglich, wenn ein Träger zum Beispiel einen Kurs für eine besondere Zielgruppe angeboten hat oder eine Maßnahme sehr anspruchsvoll war. Es war Aufgabe der fachkundigen Stellen zu prüfen, ob die Begründung stichhaltig war. Ab 1. April sollen Bildungsangebote, die über dem Kostendurchschnittssatz liegen, nur noch mit Zustimmung der BA angeboten werden können. Wir fürchten, dass das zu Lasten der Qualität und des Lehrpersonals geht.

biwifo: Aber der Druck auf die Menschen, die BA-finanzierte Maßnahmen durchführen, ist doch schon in den vergangenen Jahren stark gewachsen.

Hermann Nehls: Wir sprechen über Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung im SGB III (Sozialgesetzbuch III), wo der Zugang der Teilnehmer über Bildungsgutscheine läuft. Auch da gab es natürlich bisher schon Kostendruck, weil die finanzielle Messlatte der Bundesdurchschnittskostensatz war und nicht die inhaltliche Qualität. Wo es dagegen einen extremen Unterbietungswettbewerb gibt, sind die Maßnahmen, die die BA direkt ausschreibt zur Qualifizierung im Bereich der beruflichen Eingliederung, Berufsvorbereitung, Ausbildungsbegleitende Hilfen oder der so genannten Aktivierung.


Hermann Nehls vom DGB sitzt seit 2005 im Anerkennungsbeirat für Weiterbildungsträger und -maßnahmen (AZWV)

Interview: Annette Jensen

Der Interview ist erschienen im biwifo report 1/2012.


Die vollständige Ausgabe des biwifo report können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Bildungsgutschein
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 28.03.2012

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024