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Weiterbildung – Licht und lange Schatten

Und wie steht es um die Beschäftigten?

Am 15. Juni 2007 findet erstmals der deutsche Weiterbildungstag statt. Alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte betonen die große Bedeutung von Weiterbildung und propagieren lebensbegleitendes Lernen – so als würde es nur an der individuellen Bereitschaft dazu mangeln. Dass damit ein (weiterer) Teil von Bildung einfach privatisiert wird, wird gezielt übersehen. Denn die TeilnehmerInnen müssen viel mitbringen: Eigeninitiative, eigene Lebenszeit und meistens eigenes Geld. Ebenso übersehen wird, wie prekär die Branche aus der Perspektive der Beschäftigten geworden ist.

Der Weiterbildungsmarkt

In den 50er und 60er Jahren gab es noch den begrenzten und überschaubaren Bereich der Erwachsenenbildung. Träger waren meistens Volkshochschulen, die Kosten übernahmen größtenteils die Kommunen. Vor dem Hintergrund der Strukturkrise von Kohle und Stahl sowie der steigenden Massenarbeitslosigkeit begann in den 70er Jahren die Weiterbildung für Erwerbslose. Das Arbeitsamt übernahm die Finanzierung der Kurse, die von privatwirtschaftlichen Unternehmen durchgeführt wurden. Dieser Bereich weitete sich immer mehr aus. Zugleich wuchs auch die Nachfrage nach EDV-Schulungen, Sprachkursen und anderen Qualifizierungsmaßnahmen.

Inzwischen ist Weiterbildung ein bedeutender, weitgehend privatwirtschaftlicher Markt geworden. Das Bundesinstitut für Berufsbildung schätzt, dass jährlich mindestens 20 Milliarden Euro ausgegeben werden für Kurse und Maßnahmen, die nicht in Betrieben stattfinden. Dieser Markt zeichnet sich durch geringe Transparenz und fehlende Standards aus. So gibt es keine verbindlichen Vorschriften, welche Voraussetzungen und Kompetenzen ein Träger erfüllen muss oder was zu einer guten Weiterbildung unabdingbar dazugehört.

Innerhalb des Weiterbildungsmarktes lassen sich verschiedene Segmente unterscheiden.
  • Selbst in kleineren Städten sind mittlerweile Bildungsunternehmen ansässig. Einige bieten allgemeinbildende Seminare an, andere sind reine EDV- oder Sprachschulen oder sie organisieren nach dem Integrationsgesetz Kurse für Deutsch als Fremdsprache. Auch Institute, die in großem Umfang Nachhilfe anbieten und wie Fast-Food-Ketten nach dem Franchise-Prinzip arbeiten, sind weit verbreitet.

  • W Ein großes Marktsegment sind Bildungsmaßnahmen für Erwerbslose nach dem Sozialgesetzbuch II und III, die von der Arbeitsagentur bzw. den Arbeitsgemeinschaften in den Kommunen finanziert werden.

Zwar hat sich der Weiterbildungsmarkt in den vergangenen Jahren enorm ausgeweitet – doch zugleich schrumpfte die öffentliche Förderung. Am krassesten ist diese Entwicklung im Bereich der Weiterbildung für Erwerbslose zu spüren. Nachdem die Reduzierung und Einschränkung zunächst schleichend geschah, kam es vor etwa vier Jahren zu einem drastischen Einbruch: Mit und durch die Hartz-Gesetze wurden ungefähr zwei Drittel der Kapazitäten einfach zusammengestrichen. Zahlreiche Firmen sind inzwischen vom Markt verschwunden, nahezu alle Träger haben Massenentlassungen durchgezogen. Oft blieb nur eine minimale „Restbelegschaft“ übrig. Das „Restgeschäft“ wurde häufig ausgegliedert und oft in mehreren Tochtergesellschaften weitergeführt.

Schätzungsweise über 40.000 der ursprünglich 80.000 bis 100.000 Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz verloren. Parallel verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen drastisch.

Die Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung

Schon immer gab es in der Weiterbildung Beschäftigte auf Honorarbasis. Zu Zeiten der traditionellen Erwachsenenbildung, als die Kurse in der Regel von Berufstätigen nach Feierabend geleitet wurden, war diese Beschäftigungsform akzeptabel. Als dann das Arbeitsamt Weiterbildung in zunehmendem Maße finanzierte, hat sich bei den entsprechenden Trägern das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis etabliert. Haustarifverträge mit einem akzeptablen Niveau konnten durchgesetzt werden – auch wenn es immer auch Honorartätigkeit gab, die oft als Bedrohung der tariflichen Beschäftigungsverhältnisse eingesetzt wurde.

Ab 2002/2003 ging es dann mit den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung steil bergab. Immer mehr Kollegen müssen auf Honorarbasis arbeiten. Fast alle Neueinstellungen sind befristet und die Verträge oft nur auf wenige Monate angelegt. Die Gehälter wurden massiv gedrückt. Ihr Niveau bewegt sich heute oft 40% und mehr unter dem vor der Krise; die Einstiegsgehälter in der Weiterbildung erreichen oft nur 50% dessen, was LehrerInnen an öffentlichen Schulen verdienen. Auch Leiharbeit ist keine Seltenheit mehr.

Ursache dieser Entwicklung ist vor allem die geänderte Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit: Bildungsgutscheine und die Kursvergabe über öffentliche Ausschreibungen haben dazu geführt, dass der billigste Träger den Zuschlag erhält. Der Kostendruck wird direkt auf die Beschäftigten abgewälzt. In der nächsten Ausschreibungsrunde setzt sich dann der Unterbietungswettbewerb fort, und so drückt eine sich beschleunigende Spirale die Gehälter immer weiter nach unten. Die Fluktuation bei den Trägern ist hoch – und wer bleiben muss oder darf, ist gezwungen, ein immer wieder sinkendes Gehalt zu akzeptieren.

Pädagogische Wanderarbeiter

Mit der von der Bundesagentur durchgesetzten Ausschreibungspraxis entsteht ein neuer Beschäftigungstypus: der pädagogische Wanderarbeiter, der die gleiche Bildungsmaßnahme bei verschiedenen Trägern nacheinander durchführt – immer dort, wo ein Träger gerade mit dem noch billigeren Angebot den Zuschlag erhalten hat. Bei jedem neuen Träger erhält der Bildungsnomade einen neuen Arbeitsvertrag, häufig mit niedrigerem Gehalt als in der vorhergehenden Runde. Im Klartext: Einstiegsgehälter für einen Vollzeitdozenten von 1.500 bis 1.800 € brutto und sogar darunter sind keine Ausnahmen mehr. Parallel sind auch die Honorare abgerutscht. Stundenhonorare von knapp über 10 € sind heute keine Seltenheit. Damit stellt sich auch für die Weiterbildung die Frage eines Mindestlohnes.

Was durch die Hartz-Gesetze und die Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit eingeläutet wurde, strahlt auf andere Bereiche der Weiterbildung aus. Prekäre Beschäftigung greift in der gesamten Weiterbildung um sich und droht, nach und nach zum Standard zu werden. Das früher ‚normale’, unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis mit einem akzeptablen Gehalt droht zum Auslaufmodell zu werden.

Zwangsläufig leidet die Qualität der Weiterbildung – bei allem Engagement der einzelnen DozentInnen. Leidtragende sind dabei sowohl die Beschäftigten als auch die TeilnehmerInnen.

Die Perspektiven
Weiterbildung ist sinnvoll und notwendig, sowohl gesellschaftlich als auch für jeden Einzelnen. Eine gute Weiterbildung aber kann nur gelingen mit vernünftigen Arbeitsbedingungen.

Dazu zählen aus unserer Sicht vor allem
  • ein sozialversicherungspflichtiges, unbefristetes Beschäftigungsverhältnis, das eine gewisse Lebensplanung erlaubt

  • eine Entlohnung, die die erworbene berufliche Qualifikation und die Erfahrung anerkennt

  • Arbeitsbedingungen, die den Ansprüchen der TeilnehmerInnen gerecht werden und Lernprozesse fördern

  • Refinanzierungsbedingungen für die Bildungsträger, die eine mehrjährige Planung auch für die Unternehmen ermöglichen.

Roland Kohsiek


Quelle: Weiterbildung aktuell 2/2007-06-08

Sie können die vollständige Ausgabe von Weiterbildung aktuell hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Bildungsgutschein, Volkshochschule
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 19.03.2024