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BMBF

Keine Fördergelder für Qualifizierungstarifverträge

Hier geht es zum ZweiwochendienstQualifizierungstarifverträge sind laut Bundesregierung ein ā€˛gutes Instrument", die Betriebe für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu sensibilisieren. Bei der Umsetzung der tariflichen Vereinbarungen will die Regierung jedoch außer warmen Worten keinerlei Hilfestellung leisten.

zwd Berlin (uvl). ā€˛Wir wollen die Weiterbildung mittelfristig zur vierten Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren." Für Mechthild Bayer, Weiterbildungexpertin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat dieser Satz aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD nichts mit der realen Politik der Bundesregierung zu tun.

Im September 2005 hatte ver.di für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst einen Qualifizierungstarifvertrag ausgehandelt. Darin ist vereinbart, dass alle Beschäftigten einmal im Jahr Anspruch auf ein Gespräch über ihren Qualifzierungsbedarf mit einem Vorgesetzten haben. Vielen Betrieben seien jedoch Bedarfsanalysen für Weiterbildung völlig fremd, unterstrich Bayer. Also beantragte ver.di beim Bundesbildungsministerium (BMBF) personelle und wissenschaftliche Unterstützung sowie Geld für die Evaluation. Vergeblich. Das Ministerium lehnte die Förderung ab. Das Programm, aus dem die Hilfestellung hätte bezahlt werden können, sei ausgelaufen, so die Begründung aus dem Hause von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). Für das Nachfolgeprogramm könnten aber im Frühjahr Anträge gestellt werden. Ein Ja ist jedoch auch dann unwahrscheinlich: Eine Förderung könnte als ā€˛Eingriff in die Tarifautonomie" verstanden werden, so ein Sprecher des BMBF zum zwd. Einem solchen Verdacht könne und wolle sich die Bundesregierung nicht aussetzen.

Ablehnung auch für IG Metall

Ähnlich wie ver.di erging es der IG Metall. Seit Juli 2006 gilt in sechs Bezirken der Metall- und Elektroindustrie ein Qualifizierungstarifvertrag nach dem Muster des öffentlichen Dienstes. Auch die IG Metall beantragte beim BMBF Geld für die Umsetzung. Die Ablehnung war für Barbara Jentgens, vom Funktionsbereich Tarifpolitik der IG Metall, ein schwerer Schlag. Mit dem Geld hätten Betriebe angeregt werden können, sich auf die betriebliche Weiterbildung einzulassen. Auch hätten Netzwerke entstehen können, die die Betriebe bei der Umsetzung der Vereinbarungen begleiten und unterstützen.

Die ablehnende Haltung des BMBF passe nicht mit den Beschlüssen des Koalitionsvertrags zusammen, ärgert sich Bayer: ā€˛Frau Schavan lehnt bundesgesetzliche Regelungen für die Weiterbildung ab, und lässt die Tarifparteien bei der Umsetzung der Qualifizierungsverträge völlig allein. Da frage ich mich, wie sich die Bundesregierung die Unterstützung vorstellt?" Ver.di wie auch die IG Metall werden neue Anträge stellen, denn eine Förderung der Qualifizierungstarifverträge liege im doppelten öffentlichen Interesse, bekräftigte Bayer. Die Weiterbildungsintensität in diesen Schlüsselbranchen nehme zu. Zum anderen gehe davon eine Signalwirkung auf die gesamte Wirtschaft aus.

BMBF war nicht immer so stur

Nicht immer war das BMBF bei der Förderung von Qualifizierungstarifverträgen so zurückhaltend. So bezahlte das Ministerium die Evaluation des Qualifizierungstarifvertrages der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie, den der Arbeitgeberverband Südwestmetall und die IG Metall 2001 geschlossen hatten. Die Evaluation, an der auch Jentgens mitgewirkt hat, zeigte, dass mit dem Recht auf ein Qualifizierungsgespräch mehr Beschäftigte als zuvor eine Weiterbildung bekommen. Auch stieg allein zwischen 2003 und 2005 die Zahl der Betriebe, die über eine Vereinbarung zur Weiterbildung verfügen, von 25 auf 40 Prozent. Selbst die zuerst skeptischen Arbeitgeber hätten die Vereinbarung angenommen. Ein Grund des Erfolges ist in der ā€˛Agentur Q" zu suchen, die die baden-württembergischen Tarifparteien eigens gegründet haben und paritätisch finanzieren. Sie hilft insbesondere den Betrieben bei der Umsetzung des Qualifizierungstarifvertrages, die bisher keine Erfahrung bei der Analyse des Weiterbildungsbedarfs gemacht haben. Auch vermittelt sie bei Streitigkeiten zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber um den Qualifizierungsbedarf.

Bundesweit scheiterten IG Metall und ver.di mit dem Wunsch nach einer Agentur Q am Widerstand der Arbeitgeber. Eine Sprecherin des Arbeitgeberverbandes NRW Metall, in dessen Bezirk der Pilotabschluss zu Stande kam, betonte gegenüber dem zwd, dass man keine Agentur brauche. Die Betriebsräte und die Personalleitungen vor Ort wüssten am besten wie der Qualifizierungstarifvertrag umgesetzt werden könne.

Weiterhin Unterstützungbedarf

Das Fehlen einer Agentur Q müsse nach Auffassung von Bayer für das BMBF ein Grund mehr sein, den flächendeckenden Qualifizierungstarifvertrag mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Die Agentur habe in Baden-Württemberg eine ungeheuer wichtige Hilfestellung bei der Umsetzung der tariflichen Vereinbarungen geleistet. Bayer: ā€˛Wenn wir die Durchsetzung einer Agentur aber nicht schaffen, dann dürfen wir doch erwarten, dass die Politik uns auch in den von uns als Tarifpartei zu leistenden Arbeiten unterstützt."

Zumal die Vereinbarung aus dem Ländle zwar grundsätzlich erfolgreich gewesen sei, aber auch Schwachstellen habe, erinnerte Jentgens. Geringqualifizierte würden weiterhin relativ selten in den Genuss einer Weiterbildung kommen. Auch gebe es weiterhin öffentlichen Unterstützungsbedarf bei der Entwicklung notwendiger und geeigneter Instrumente für die Umsetzung der Qualifizierungsgespräche, zur Bedarfsermittlung und der Berichterstattung.



Interview

ā€˛Wie stellt sich die Bundesregierung die Unterstützung der Tarifparteien vor?"


Keine gesetzlichen Regelungen bei der Weiterbildung, aber auch keine Unterstützung bei der Umsetzung von Qualifizierungstarifverträgen: Mechthild Bayer, Weiterbildungsexpertin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fragt sich, wie die Bundesregierung das Ziel erreichen will, die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems zu machen.

zwd: Das BMBF stellt Ihnen kein Geld für die Umsetzung des Qualifizierungstarifvertrages im Öffentlichen Dienst zur Verfügung. Der Bund sei nicht ermächtigt, die Finanzierung von satzungsgemäßen Aufgaben von Gewerkschaften zu übernehmen. Ist das für Sie akzeptabel?

Bayer: Nein. Die Bundesregierung will Weiterbildung zu einem prominenten Thema in den Betrieben machen, dann muss sie die Tarifparteien auch bei der Umsetzung im Betrieb unterstützen. Wenn man schon bundesgesetzliche Regelungen für die Weiterbildung ablehnt - wie es Frau Schavan definitiv macht - und gleichzeitig den Tarifparteien so eine große Aufgabe zuweist, ist es nicht einsehbar, dass wir bei der Umsetzung völlig alleine gelassen werden.

zwd: Das BMBF lehnt die Unterstützung auch ab, weil es als Eingriff in die Tarifautonomie verstanden werden könnte.

Bayer: Dieses Argument ist nicht tragfähig und gleichzeitig, wie ich glaube, vorgeschoben. Die Umsetzung umfassender betrieblicher Weiterbildungsstrukturen ist für alle Beteiligten Neuland und daraus ergeben sich umfassende Support-Aufgaben. Deren öffentliche Förderung berührt nicht die Tarifautonomie. Sie liegt vielmehr im doppelten öffentlichen Interesse: Zum einen würde sich damit die Chance auf einen umfassenden Aufwuchs der Weiterbildungsintensität erhöhen ā€“ aktuell in Schlüsselbranchen der Volkswirtschaft wie dem Öffentlichen Dienst und der Metall- und Elektroindustrie - und zum anderen könnte davon eine positive Signalwirkung für die gesamte Wirtschaft ausgehen. Das liegt doch auf der Hand. Die Gewerkschaften fragen deshalb: Steht die zugesagte Unterstützung nicht nur auf dem Papier? Wie stellt Frau Schavan sie sich vor? Wie will die Bundesregierung eine Weiterbildungsoffensive in Gang setzen, die die Betriebe nicht außen vor lässt?

zwd: Die Umsetzung des Qualifizierungstarifvertrages der IG Metall in Baden-Württemberg hat das BMBF unterstützt. Können Sie die Ergebnisse nicht einfach für den Öffentlichen Dienst verwenden?

Bayer: Wir verwenden die ja. Seit der Evaluierung in Baden-Württemberg haben wir es schwarz auf weiß: Qualifizierungstarifverträge wirken. Der Anteil der Betriebe, die über eine Vereinbarung zum Thema Qualifizierung verfügen, ist dadurch zwischen 2003 und 2005 von 25 Prozent auf 40 Prozent gestiegen. Die Weiterbildungsmotivation nimmt zu, die Beschäftigten werden stärker einbezogen, der Bedarf wird besser ermittelt. Selbst bei den Managern hat der Vertrag kaum Kritiker. 90 Prozent von denen sieht keine Einengung des betrieblichen Handlungsspielraums oder eine Abnahme der Flexibilität.

zwd: Warum sollte das BMBF nochmals die Umsetzung eines Qualifizierungstarifvertrages fördern, wenn es dazu schon verwendbare Ergebnisse gibt?

Bayer: Der Vertrag im Öffentlichen Dienst ist nicht der gleiche wie der der IG Metall. Es gibt unterschiedliche Regelungen bei Konflikten, bei der Freistellung. Wir haben auch eine ganz andere Branchen- und Unternehmenskultur und eine unterschiedliche Tradition in der Personalentwicklung. Wenn im BMBF der Koalitionsvertrag ernst genommen wird, müsste das Ministerium eigentlich selbst auf uns zukommen, um mit uns ein Projekt zur Umsetzung der Qualifizierungsvereinbarung zu verhandeln. Sie ist nämlich zentraler Bestandteil eines Reformkonzepts, das den Öffentlichen Dienst tauglich für die Zukunft machen soll.

zwd: Inwieweit sind sie in Kontakt mit den Bundestagsfraktionen, um dem BMBF und Frau Schavan auf die Sprünge zu helfen?

Bayer:Wir hoffen, dass die SPD-Fraktion Druck auf Frau Schavan entfaltet, denn das was im Koalitionsvertrag steht, wird in der bisherigen Praxis des BMBF in keiner Weise umgesetzt. Wenn die Union uns im Regen stehen lässt , dann werden wir natürlich mit dem anderen Koalitionspartner uns fragen wie die im Koalitionsvertrag vereinbarte Unterstützung der Tarifparteien eigentlich aussehen soll.

zwd: Demnächst startet im BMBF ein neues Programm, über das die Umsetzung von Qualifizierungstarifverträgen gefördert werden kann. Wie stehen die Erfolgschancen eines Antrages?

Bayer: Wir werden auf jeden Fall den Antrag genau wie die IG Metall wiederum stellen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dann erneut das Argument hervorgeholt wird, wir wollten unsere Aufgaben durch die öffentliche Hand finanzieren lassen. Ich hoffe aber, dass wir trotzdem nicht mit dem Antrag scheitern werden.

zwd: Sie verhandeln gerade mit den Arbeitgebern der Versicherungsbranche über einen Qualifizierungstarifvertrag. Sind die begeistert?

Bayer: Sie sehen das als unnötigen bürokratischen Aufwand, der keinen neuen Effekt bringt gemäß dem Motto: Eigentlich organisieren wir die Weiterbildung gut und es gibt ja schon das Betriebsverfassungsgesetz, über das die Betriebsräte in der Weiterbildung involviert sind und sie mitgestalten. Auch hier zeigt sich: Die Arbeitgeber müssen in Verhandlungen mit uns erst bewegt werden, das Thema auf die Agenda zu setzen und nach vorne zu schieben. Da auch die betriebliche Weiterbildung im internationalen Vergleich nur auf den mittleren bis unteren Plätzen landet, müsste das BMBF auf jeden Fall ein stärkeres Interesse haben, dass sie innovativer wird. Tarifverträge schaffen dafür einen Rahmen, der aber erst durch die Arbeit der Betriebsparteien Wirkung auf die betriebliche Praxis entfalten kann.

Das Interview führte Udo van Lengen


Quelle: Zweiwochendienst (zwd) Bildung, Wissenschaft, Kulturpolitik Nr. 2/2007 vom 21. Februar 2007

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 22.03.2007

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024