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Weiterbildung – (K)eine Frage des Alters? Demografische Entwicklung und lebenslanges Lernen

In seiner Einführung erläuterte Ulrich Nordhaus, der Vorsitzende der KAW, den Zusammenhang zwischen dem demografischen Wandel und der Bedeutung des Lernens auch in älteren Lebensphasen.


„Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auf unserer letzten Tagung hier in Berlin haben wir den Kommissionsbericht zur Finanzierung Lebenslangen Lernens thematisiert. Heute steht der demografische Wandel im Blickpunkt. Die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens ergibt sich nicht alleine aus dem technischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel, sondern eben auch aus der Überalterung der Gesellschaft. Der demografische Wandel und seine Auswirkungen sind ein Thema mit Hochkonjunktur.

Wie wird sich in den nächsten Jahren das Lebensgefühl in der „vergreisten“ Republik verändern? So fragt Elisabeth Niejahr von der „Zeit“.

Noch verhalten wir uns, als befänden uns wie in einem ewigen Jugendalter. Doch wie wird sich die politische Landschaft verändern?

Was heißt dies für die Verteilungsdebatte? Wie ändern sich Risikobereitschaft und Unternehmungsgeist, wenn plötzlich mehr als ein Drittel der Einwohner Deutschlands über 60 Jahre ist?

Mit diesen Fragen steht auch der Bildungsbereich vor neuen, großen Herausforderungen. Eine Gesellschaft, die lebenslanges Lernen propagiert, darf dies nicht nur als Papiertiger behandeln. Die Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung darf nicht als Problem betrachtet werden. Sie muss vielmehr als das gewertet werden, was sie im historischen Vergleich auch ist: ein Gewinn für den Einzelnen und für die Gesellschaft.

Damit wir die gewonnene Lebenszeit auch tatsächlich zu einem Gewinn machen können, brauchen wir ein neues, positives und differenziertes Bild vom Alter. Und so ist es zu begrüßen, dass der 5. Altenbericht die Potenziale älterer Menschen herausstellt. Deutlich wird: Menschen jenseits der 50 können und wissen viel. Sie gehören nicht zum alten Eisen.

Die Einbeziehung älterer Erwachsener in kontinuierliches Lernen gewinnt nicht nur unter demografischen Gesichtspunkten für den Arbeitsmarkt an Bedeutung, sondern ist angesichts des Wandels in allen Bereichen auch Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft und ein sinnerfülltes Alter.

„Weiterbildung – keine oder eine Frage des Alters?“, so die Überschrift unserer Tagung. Sie ist mit einem Fragezeichen versehen und eher rhetorischer Natur. Weiterbildung sollte keine Frage des Alters sein. Aber wenn man auf die Lebenswirklichkeiten der Menschen schaut, dann verhält es sich leider anders.

Die Fähigkeiten älterer Menschen und ihr Erfahrungswissen werden immer noch zu gering geschätzt, insbesondere in Unternehmen.

Mir scheint, unsere reale Arbeitsmarkt- und Personalpolitik ist von einer gewissen Widersprüchlichkeit geprägt:

Einmütig fordern Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftsexperten, dass wir länger arbeiten sollen. Alle betonen mittlerweile den hohen Wert des beruflichen und betrieblichen Erfahrungswissens der Älteren, auf den die Wirtschaft nicht verzichten könne.

Gleichzeitig erleben die Älteren in den Betrieben und auf dem Arbeitsmarkt das genaue Gegenteil: Wer älter als 50 ist, gilt als „altes Eisen“, das man bei nächster Gelegenheit loswerden möchte und auch loswird.

Wenn Arbeitsplatzabbau ansteht, dann werden wie selbstverständlich zunächst einmal die Älteren entlassen. Die Argumente sind stereotyp: Es gebe keine andere Möglichkeit, weil die Älteren in der Regel gesundheitlich eingeschränkt, hinsichtlich Arbeitsinhalten und –methoden, Arbeitszeiten und Arbeitsorten inflexibel und außerdem schlicht zu teuer seien.

Oft bleibt auch das Argument nicht aus, dass sich die Älteren als „lernunwillig“, ja zuweilen gar „störrisch und bockig“ erweisen. Außerdem gebe es auf dem Arbeitsmarkt genügend Jüngere, die den geforderten Qualifikations- und Flexibilitätsanforderungen besser entsprächen.

Untersuchungen widersprechen allerdings dieser Einschätzung:

Die Beschäftigungstauglichkeit wird durch das Alter an sich nicht grundsätzlich eingeschränkt. Trotzdem ist in 41 Prozent aller Betriebe niemand über 50 Jahre beschäftigt.

Gerade einmal vier von zehn Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren sind in Deutschland erwerbstätig. Das muss sich ändern. Wir brauchen eine höhere Beschäftigtenquote der Älteren, denn sie nützt diesen selbst, kommt ihren Wünschen entgegen und bewahrt die jüngeren Generationen vor Überforderung.

Betriebe und Verwaltungen müssen ihre "Jugendzentrierung" aufgeben und sich auf eine veränderte Altersstruktur ihrer Belegschaften einstellen. Dafür gibt es quantitative aber auch qualitative Notwendigkeiten:
  • Studien belegen, dass altersgemischte Teams die besten Arbeitsergebnisse hervorbringen. Sie stellen zudem den notwendigen Wissens- und Erfahrungstransfer sicher.
  • Schon zwischen 2020 und 2030 werden die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre langsam in die Rente hineinwachsen. Das hat zur Folge, dass die Zahl der Menschen im Erwerbsalter abnimmt. Während die Gesamtbevölkerung in den kommenden 30 Jahren lediglich um 3 Prozent zurückgehen wird, wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um fast 8 Millionen sinken. Das entspricht einem Rückgang von über 24 Prozent.
Eine Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer ist deshalb aus mehreren Gründen notwendig. Damit kann der künftige Fachkräftemangel vermieden werden. Dadurch wird zweitens der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge gebremst, da sich die Relation von Leistungsempfängern zu Beitragszahlern verbessert. Drittens liegt heute ein erheblicher Wissens- und Erfahrungsschatz Älterer brach, der durch Jüngere nicht einfach ersetzt werden kann. Und viertens ist bei zunehmendem Lebensalter eine längere Erwerbsphase ein wichtiges Element einer erfüllten Lebensgestaltung, die heute vielen Älteren auf dem Arbeitsmarkt versagt bleibt.

Die Plädoyers aus dem Altenbericht und dem Kommissionsbericht zur Finanzierung Lebenslangen Lernens haben sich deutlich überschnitten. Es geht darum, wie wir primäre und nachholende Bildung verzahnen. Beide Berichte sprechen sich für ein Erwachsenenbafög aus, die Finanzierung von Maßnahmekosten und Lebensunterhalt beim Nachholen schulischer und beruflicher Abschlüsse auch über 30 Jahre hinaus, für eine Unterstützung des Bildungssparens für einkommensschwache Personen und ein flächendeckendes Angebot an kultureller, allgemeiner und politischer Bildung. Deutlich wurde unterstrichen, dass die Ausgaben für Weiterbildung keine Subvention sind, sondern als Investitionen zu betrachten sind. Und dies zählt nicht nur für den Bereich der beruflichen Weiterbildung. Bildung entscheidet darüber, wer was wird in dieser Gesellschaft. Bildung ist der entscheidende Faktor, ob jemand eine absichernde Arbeit haben wird oder nicht. Und doch ist Bildung mehr. Sie ist in modernen Gesellschaften zur notwendigen Ausstattung für gesellschaftliche Integration geworden. Wer diese Mitgift nicht mitbringt oder im Laufe des Lebens verlernt, dem droht Ausgrenzung.

Dabei bedeutet lebenslanges Lernen nicht Lernen ohne Ende. Es braucht die Motivation, persönliche Beteiligungsbereitschaft, gemeinsame Verantwortung und gesicherte Ordnung. Dies gelingt nur, wenn in einem System lebensentfaltender Bildung Identitätsentwicklung ermöglicht wird und sich Gestaltungschancen eröffnen.

Die KAW hat zur Vorbereitung dieser Tagung einige Leitfragen herausgearbeitet, die wir im Laufe des Tages mit Ihnen und den Referenten diskutieren wollen. Im vorliegenden Programm sprechen wir noch von einem Thesenpapier. Darauf haben wir bewusst verzichtet, um Ihre Anregungen und Beiträge einzuarbeiten und in einem Tagungsbericht als Thesen dann auch dokumentieren zu können.

Uns erscheint es wichtig, den demografischen Wandel und auch die damit verbundenen bildungspolitischen Fragestellungen als Querschnittsaufgabe zu behandeln. Sie ist eine politikübergreifende Fragestellung. Sie betrifft die Sozialpolitik ebenso wie die Gesundheitspolitik. Und gesellschaftspolitisch ist zu fragen, wie das Verständnis der Generationen füreinander verbessert werden kann.

„Bildung ist der Schlüssel zur Zukunft“ heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Weiterbildung soll grundsätzlich zur vierten Säule des Bildungssystems werden, die Rahmenkompetenz soll auf Bundesebene liegen. Welche Verantwortung übernehmen Bund und Länder, wie wird sich der Bildungsbereich nach der Föderalismusreform entwickeln?

Schon jetzt stellen wir Kürzungen der Zuschüsse in den Bundesländern und Kommunen fest. Darüber hinaus sinkt die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit für berufliche Umschulungsmaßnahmen weiter.

Auch die Weiterbildungsbeteiligung ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Besonders bei Älteren, Frauen mit Kindern sowie Migranten ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen.

Zu fragen ist, wie zusätzliche Bildungsressourcen aktiviert und wie öffentliche Verantwortung als Querschnittsaufgabe der Politik gewährleistet und verstärkt werden können.“


Weitere Informationen zur Arbeit der Konzertierten Aktion Weiterbildung und zum Lebenslangen Lernen finden sie der Homepage der KAW.

Die gesamte Tagungsdokumentation können sie hier als pdf-datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 27.09.2006